Arm und Reich
Säugetiere, die nie domestiziert wurden, obgleich ihre nahen Verwandten beziehungsweise Pendants in Eurasien sehr wohl zu Haustieren wurden. Woran lag es, daß die Pferde Eurasiens domestiziert wurden, nicht aber die Zebras der afrikanischen Steppen? Warum Eurasiens Schweine, aber nicht die amerikanischen Nabelschweine oder die drei echten afrikanischen Wildschweinarten? Warum Eurasiens fünf Wildrinder (Auerochse, Wasserbüffel, Jak, Gaur und Banteng), aber nicht der afrikanische Büffel oder der amerikanische Bison? Warum das asiatische Mufflon (der Vorfahre des Hausschafs), aber nicht das nordamerikanische Dickhornschaf?
Hatten etwa die Völker Afrikas, Nord- und Südamerikas und Australiens trotz ihrer kolossalen sonstigen Vielfalt bestimmte kulturelle Merkmale gemein, die sie daran hinderten, Säugetiere zu domestizieren? Lag es beispielsweise in Afrika an dem vorhandenen Überfluß an Großwild zum Jagen, daß die Menschen sich nicht die Mühe machen wollten, Haustiere zu hüten?
Die Antwort auf diese Frage lautet eindeutig: Nein! Fünf Fakten sprechen dagegen: die schnelle Übernahme europäischer Haustiere durch nichteurasische Völker, die universelle menschliche Vorliebe für die Gesellschaft von Haustieren, die rasche Domestikation der »klassischen 14«, die wiederholte unabhängige Domestikation einiger der »klassischen 14« und der relativ bescheidene Erfolg neuzeitlicher Domestikationsbemühungen.
Als die »großen fünf« eurasischen Haustiere nach Afrika südlich der Sahara gelangten, wurden sie von vielen afrikanischen Völkern übernommen, sofern die Bedingungen halbwegs geeignet waren. Die »frischgebackenen« afrikanischen Viehzüchter errangen sofort einen riesigen Vorteil gegenüber Jägern und Sammlern, die binnen kurzer Zeit von ihnen verdrängt wurden. Insbesondere Bantu-Bauern breiteten sich, nachdem sie in den Besitz von Rindern und Schafen gelangt waren, von ihrer Heimat in Westafrika aus und überrannten innerhalb kurzer Zeit den größten Teil des übrigen Afrika südlich der Sahara, wo bis dahin Jäger und Sammler gelebt hatten. Auch ohne Anbaupflanzen verdrängten Khoisan-Völker, seit rund 2000 Jahren im Besitz von Rindern und Schafen, die Jäger- und Sammlerbevölkerung in weiten Teilen des südlichen Afrika. Die Ankunft des domestizierten Pferdes in Westafrika führte zu einer Revolution der Kriegführung in dieser Region, verbunden mit der Entstehung einer Reihe von Königreichen, die sich auf Reitertruppen stützten. Der einzige Faktor, der die weitere Ausbreitung des Pferdes über Westafrika hinaus verhinderte, war die von Tsetsefliegen übertragene Schlafkrankheit.
Nach dem gleichen Schema verlief die Entwicklung auch in anderen Teilen der Welt, wann immer Völker, in deren Lebensräumen keine zur Domestikation geeigneten Tierarten heimisch waren, plötzlich in den Besitz eurasischer Haustiere gelangen konnten. So wurden europäische Pferde von Indianern in Nord- und Südamerika innerhalb einer Generation, nachdem Pferde von europäischen Siedlungen entlaufen waren, bereitwillig übernommen. Die nordamerikanischen Prärieindianer, die sich bis zum 19. Jahrhundert einen Namen als berittene Krieger und Büffeljäger gemacht hatten, gelangten erst Ende des 17. Jahrhunderts in den Besitz von Pferden. Die Navajo-Indianer, die heute für ihre herrlichen gewebten Wolldecken berühmt sind, erwarben erst von den Spaniern Schafe, die ihre Kultur in ähnlicher Weise transformierten wie Pferde die Kultur der Prärieindianer. Binnen eines Jahrzehnts nach der Besiedlung Tasmaniens durch Europäer, in deren Gefolge auch Hunde auf die Insel kamen, begannen die Tasmanier, die nie zuvor einen Hund erblickt hatten, in großem Stil Jagdhunde zu züchten. Daran wird erkennbar, daß bei den Tausenden von kulturell sehr unterschiedlichen Völkern Australiens, Nord- und Südamerikas und Afrikas keine kulturellen Tabus mit universeller Gültigkeit der Domestikation von Tieren im Weg standen.
Wären einige lokale Wildtierarten dieser Kontinente domestizierbar gewesen, so hätte es sicher einige australische, amerikanische und afrikanische Völker gegeben, die sich diesen Umstand erfolgreich zunutze gemacht hätten, ganz so, wie sie sich später Vorteile durch die prompte Übernahme eurasischer Haustiere verschafften. Man denke beispielsweise an all die Völker Afrikas südlich der Sahara, die sich ihren Lebensraum mit wilden Zebras
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