Armageddon 01 - Die unbekannte Macht
Erotik.
Das männliche Ego ist ein Puppenspieler, sann er in jenen Tagen häufig. Ein Puppenspieler mit einem kohlrabenschwarzen Humor.
Joshua hatte keine Zeit, über das Rätsel von Dr. Mzu nachzudenken. Eine Stimme rief seinen Namen. Mit einem leicht genervten Ausdruck im Gesicht drehte er sich um. »Ja?«
Ein vielleicht dreißig Jahre alter Mann in einem leicht abgetragenen marineblauen Einteiler schob sich durch das Gedränge und winkte drängend. Er war nur ein paar Zentimeter kleiner als Joshua mit der Sorte von regelmäßigen Gesichtszügen unter dem kurzen schwarzen Haar, die sorgfältige genetische Manipulation vermuten ließ. Auf seinem Gesicht stand ein Lächeln, besorgt und leidenschaftlich zugleich.
»Was denn?« fragte Joshua müde. Er war erst auf halbem Weg zu seinem Tisch und trug noch immer das Tablett mit den neuen Champagnerflaschen.
»Captain Calvert? Ich bin Erick Thakrar, Schiffsingenieur fünften Grades.«
»Aha«, sagte Joshua.
Warlows Tausend-Dezibel-Lachen platzte in die Gespräche, und für einen kurzen Augenblick herrschte Totenstille in der Bar.
»Die Gradeinteilungen kommen hauptsächlich durch die Anzahl der Bordstunden zusammen«, erklärte Erick. »Ich habe sehr viel Zeit in den Docks verbracht. Wartung und Reparaturen. In der Praxis bin ich wahrscheinlich genauso gut wie ein Ingenieur dritten Grades, wenn nicht noch besser.«
»Und Sie suchen nach einem Job.«
»Das ist richtig.«
Joshua zögerte. Er hatte noch ein paar Posten zu vergeben, und einer davon war der des Bordingenieurs. Doch dieses merkwürdige, juckende Gefühl des Unbehagens meldete sich plötzlich wieder, und es war noch viel ausgeprägter als bei Dr. Mzu.
Mein Gott, was ist denn das für ein Typ? Ein Serienmörder?
»Ich verstehe«, sagte er.
»Ich wäre ein gutes Geschäft für Sie. Ich wäre mit Lohnstufe fünf zufrieden.«
»Ich ziehe es vor, meine Besatzung an den Chartergebühren zu beteiligen, oder auch am Gewinn, falls wir mit eigener Fracht unterwegs sind.«
»Das klingt sehr gut.«
Joshua fand nichts Falsches am Verhalten des Mannes. Jugendlich, begeisterungsfähig, zweifellos ein guter Arbeiter, offensichtlich bereit, sich mit den ›Regelinterpretationen‹ zu arrangieren, die nötig waren, um unabhängigen Händlern das Überleben zu sichern. Normalerweise genau die Sorte Mann, die man gerne hinter sich wußte. Doch dieses Gefühl von Falschheit wollte und wollte nicht schwinden.
»In Ordnung. Geben Sie mir ihre CV-Datei, und ich sehe mir die Sache an«, sagte Joshua. »Aber nicht mehr heute abend. Ich bin nicht mehr fit genug, um heute noch weitreichende Entscheidungen zu treffen.«
Schließlich lud er Erick Thakrar doch noch an seinen Tisch ein, um zu sehen, wie er mit den anderen drei Besatzungsmitgliedern zurechtkam. Er besaß den gleichen Sinn für Humor, wußte ein paar gute Geschichten beizusteuern und trank eine Menge, ohne betrunken zu werden.
Joshua beobachtete das Geschehen in einem zunehmend rosigeren Licht, das der Champagner hervorrief. Hin und wieder mußte er Kelly ein wenig zur Seite schieben, damit er die Vorgänge besser im Auge behalten konnte. Warlow mochte den Neuen, Ashly Hanson ebenfalls; Melvyn Ducharme, der Fusionstechniker der Lady Mac, kam blendend mit ihm zurecht, und selbst Meyer und die Besatzung der Udat hatten offensichtlich keine Probleme. Erick Thakrar war ohne jeden Zweifel einer von ihnen.
Und das, entschied Joshua, war genau das Problem. Erick paßte ein wenig zu perfekt in seine Rolle.
Um Viertel nach zwei Morgens gelang Joshua das Kunststück, sich Kellys Aufmerksamkeit zu entziehen und zusammen mit Helen Vanham aus Harkey’s Bar zu stehlen. Sie lebte allein in einem Appartement ein paar Stockwerke unter Harkey’s Bar. Die Wohnung war sparsam möbliert, und die Wände des Wohnzimmers bestanden aus nacktem weißem Polyp. Auf einem topasfarbenen Moosboden lagen große, weiche Kissen in freundlichen Farben. Mehrere Aluminiumkisten dienten als Tische mit Flaschen und Gläsern darauf. Eine riesige AV-Projektorsäule nahm eine ganze Ecke des Raums ein. Die Durchgänge zu den restlichen Zimmern waren durch Seidenvorhänge abgetrennt. Jemand hatte die Umrisse von Tieren auf den Stoff gemalt. Joshua sah noch die Farbtöpfe und Pinsel herumliegen. Neue Polyptumore wuchsen durch den Moosboden wie Pilze aus Stein: Mobiliarknospen, die langsam in die von Helen gewünschte Form wuchsen.
An einer Wand gegenüber dem Fenster befand sich ein Nahrungspaneel:
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