Armageddon 05 - Die Besessenen
Beinahe jeder sagte Hallo und lächelte freundlich, wenn er vorbeikam. Liol antwortete meistens, und ihre Namen waren ihm inzwischen vertraut, ohne daß er jedesmal einen Datenspeicher bemühen mußte. Plutokraten, Prinzen und Prinzessinnen, bunt gemischt mit Medienstars wegen der Abwechslung. Sie arbeiteten hart während des Tages, dehnten Konzernimperien aus, gründeten neue Dynastien und betrachteten ihren Reichtum normalerweise nicht als selbstverständlich, außer in Zeiten wie diesen. Tranquilitys Lageveränderung verursachte einzigartige Probleme bei der Verteidigung der angestammten Märkte, andererseits winkten fabelhafte Profite durch die neue Position im reichsten Sternensystem der gesamten Konföderation. Und sie hatten begonnen, diese Chance genauso ausgelassen und skrupellos zu nutzen, wie sie nur konnten. Doch die Nächte waren etwas anderes. Die Nächte waren eine einzige gigantische Party. Lokale, Restaurants, Clubs, Shows – Tranquility hatte das Beste von allem zu bieten, und in einem schier unglaublichen Übermaß.
Liol wußte nicht einmal genau, wer diesmal der Gastgeber war. Das Appartement war genauso teuer und anonym wie all die anderen, die er in den letzten Tagen zu Gesicht bekommen hatte, ein Bilderbuch von Gastlichkeit. Alles von Designern ausgewählt, die ihr Talent und ihren Geschmack unter Beweis stellen wollten. Nichts weiter als eine ganz gewöhnliche Party von vielen. Zweifellos würden er und Dominique noch zwei oder drei weitere besuchen, noch bevor die Nacht um war. Die soziale Oberschicht, zu der sich Liol auf dem Ayacucho gezählt hatte, wußte die Feste zu feiern, wie sie fielen, und sie war reich genug gewesen, um in ihren Lastern zu schwelgen. Aber verglichen mit diesem Mob hier waren sie nüchterne Provinzler.
Alle waren fasziniert von der Tatsache, daß Liol Joshuas Bruder war. Lächelten nachsichtig, wenn er berichtete, daß er auf dem Ayacucho selbst ein Geschäft besaß. Doch über das, was sie wirklich interessierte, konnte er nur wenig erzählen, den letzten Flug der Lady Macbeth. Also tendierten die Unterhaltungen dazu, kurz und schmerzlos auszutrocknen. Liol kannte sich wirklich nicht besonders gut aus mit der Politik der Konföderation oder den Geldverschiebungen in multistellaren Märkten oder gar mit den heißen Themen in der Unterhaltungsbranche (Jezzibella war Al Capones Geliebte – ach was, unmöglich!), und er empfand keinerlei Bedürfnis, über die Besessenen zu diskutieren oder darüber, welchen Verlauf die Krise nahm.
Er nahm sich einen Teller und ging die lange Reihe von Kanapees ab, um sich bewußt die exotischeren Happen herauszupicken. Im Fenster hinter der Tafel stieg der Jupiter auf, also starrte Liol hinaus, während er aß, genauso überwältigt von der Erhabenheit des Anblicks wie ein Farmjunge aus der Provinz. Nicht ganz die Reaktion des abgebrühten Raumfahrers, der in der gesamten Galaxis herumgekommen war. Sein ganzes Streben hatte der Lady Macbeth gegolten, die er, seitdem er den Namen zum ersten Mal gehört hatte, als sein rechtmäßiges Erbe betrachtet hatte. Und jetzt war er mit der Lady Macbeth geflogen, hatte das Schiff vorübergehend sogar selbst gesteuert. Er hatte fremde Sternensysteme gesehen, hatte sogar in einem orbitalen Krieg gekämpft und (wie unglaubwürdig es auch klingen mochte) die Konföderation gerettet – oder zumindest der Navy einen Teil ihrer Bürde abgenommen. Doch nach dem Höhepunkt kommt stets die Reise zurück auf den Boden. Liol würde niemals, niemals im Leben ein so phantastischer Kommandant sein wie Joshua. Die Manöver, die sein Bruder während der Beezling- Affäre geflogen hatte, hatten dies überdeutlich werden lassen. Und die Konföderation war nicht mehr der wunderbare Raum, durch den man gefahrlos streifen konnte. Genau wie das Leben, jetzt, nachdem auf alle das Jenseits wartete.
Er bemerkte eine Spiegelung im Fenster und drehte sich um. Joshua und Ione hatten sich unter die Gäste gemischt.
Sie unterhielten sich entspannt und lachten. Ein gutaussehendes Paar, Josh in einem formellen schwarzen Jackett, sie in einem fließenden grünen Abendkleid. Er wollte gerade zu ihnen gehen, als sein Bruder Ione auf die Tanzfläche zog.
»Yuuu-huuu!« Dominique winkte von der anderen Seite des Raums. Die Gäste beeilten sich, ihr Platz zu machen, als sie sich in gerader Linie zu ihm hindurchdrängte. Mit einem Mal wußte Liol, wie eine Planetenbevölkerung sich angesichts einer Flotte von Invasoren fühlen
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