Armageddon 05 - Die Besessenen
Geist schob sich langsam vor und streckte die Hand aus, als wollte er die Wärme eines Lagerfeuers spüren. »Was bist du?«
Quinn kicherte leise. »Ich weiß es nicht. Aber Gottes Bruder hat mir gezeigt, was ich zu tun habe.« Er schlenderte aus dem Tempel und ließ den Geist allein zurück.
Drei Gestalten marschierten durch den Korridor. Eine von ihnen sträubte sich verzweifelt. Quinn erkannte sie. Es war der Akolyth Kilian. Sie waren sich ein paar Tage zuvor begegnet. Alle drei runzelten verwirrt die Stirn, als sie den unsichtbaren Beobachter passierten, weil es plötzlich so unerklärlich kalt geworden war.
Quinn folgte ihnen. Er wußte, wohin sie gingen; er selbst war diesen Weg häufig genug gegangen. Bald schon würde er sie wiedersehen. Banneth.
Das war für diesmal alles. Nur ein Blick, eine Erinnerung an dieses Gesicht.
Banneth würde nichts Rasches geschehen.
Banneth war eine gute Lehrerin für Quinn gewesen, zumindest in dieser Hinsicht. Die köstlichsten Bestrafungen waren diejenigen, die am längsten dauerten. Und wenn die Nacht erst kam, dann zusammen mit der Ewigkeit.
Die Dunkelheit ist gekommen. Selbst wenn die Akolythen nicht flüsterten, hing die Phrase in der rauchigen Luft des Edmontoner Sektenhauptquartiers. Ein Racheschwert, das bedrohlicher war als jede sadistische Tat, zu der die Senior-Akolythen fähig waren.
Banneth wußte, was das zu bedeuten hatte. Die AV-Projektoren berichteten ununterbrochen von den Ereignissen in New York, und das gesamte Hauptquartier schien fasziniert davon. Die fortgesetzte Isolation der Arkologie. Gerüchte von frei umherstreifenden Besessenen. Böse Omen, wohin auch immer man sah. Und viele im Hauptquartier verfolgten die Ereignisse tatsächlich voller Andacht.
In der Folge litt ihre Arbeit. Die Einnahmen aus den Trickbetrügereien und der Zuhälterei waren in jedem Nest der Arkologie zurückgegangen. Selbst sie, der Hohe Magus von Edmonton, war außerstande, viel Begeisterung hervorzurufen. Welche Chance hatten da die geringeren Magusse der kleineren Nester?
Wenn sie die Senior-Akolythen anbrüllte, scharrten diese nur mit den Füßen und murmelten finster, daß es wenig Sinn machte, ihre alten Aktivitäten weiter zu verfolgen. »Unsere Zeit ist gekommen«, antworteten sie, und: »Gottes Bruder ist zur Erde zurückgekehrt. Was macht es da noch für einen Sinn, dämliche Zivilisten auseinanderzunehmen und auszuplündern?« Und angesichts des Credos der Lichtbringersekte konnte sie nicht effektiv dagegen argumentieren. Die Ironie der Situation blieb ihr nicht verborgen.
Sie konnte nichts weiter unternehmen, als den Gerüchten von der Straße zu lauschen und Hinweisen nachzugehen. Es war eine mehr als dürftige Informationsquelle, gerade jetzt. Wie eine große Zahl anderer irdischer Arkologien, so schien auch Edmonton immer mehr wie gelähmt, während es an seiner eigenen Furcht erstickte. Aus den Geschäftsbezirken kam die Meldung von immer weniger Kundschaft. Die Leute erschienen nicht zur Arbeit, meldeten sich krank oder nahmen Urlaub. Parks und Arkaden waren fast menschenleer. Fußball, Basketball, Eishockey und andere Sportveranstaltungen fanden vor kleinem Publikum statt. Eltern hielten ihre Kinder von den Tagesclubs fern. Zum ersten Mal in der Erinnerung aller Lebenden war es möglich, zu jeder Tages- und Nachtzeit einen freien Sitzplatz in einem der Metro-Waggons und Vakzüge zu finden.
Die Vakzüge verkehrten noch. Indem die Verbindungen offen blieben, demonstrierte GovCentral Mut und Zuversicht. Die Erde war sicher, sollte die Botschaft vermitteln. Trotzdem gingen die Passagierzahlen auf unter dreißig Prozent zurück. Niemand wollte etwas unternehmen, das ihn mit anderen Menschen in Kontakt brachte. Ganz besonders mit Fremden. Die Stadtwerke mußten ihren Angestellten mit Gerichtsverfahren drohen, damit die lebenswichtigen Versorgungsaufgaben weiterhin durchgeführt wurden. Regierungsangestellte wurden bei Androhung von Disziplinarverfahren zum Dienst nach Vorschrift gezwungen, insbesondere die Polizei. Die Bürgermeister taten voller Verzweiflung alles, um der Öffentlichkeit ein Bild der Normalität zu bieten – in der Hoffnung, daß die Menschen ihrem Beispiel folgten. Eine Verzweiflung, die angesichts der hartnäckigen Zurückhaltung der Bevölkerung zunehmend surreale Dimensionen annahm.
Banneth schickte immer wieder Sektenmitglieder in die in ewigem Halbdunkel liegenden Gullys, zu denen die Straßen der Unterstadt verkommen waren,
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