Armageddon 05 - Die Besessenen
Straße war nicht ein einziger rechter Winkel zu sehen, selbst die Fenster waren schief. Jedes Haus besaß einen winzigen Vorgarten, doch sie waren ausnahmslos gepflastert; die mächtigen Bäume absorbierten soviel Licht, daß unter ihnen kein Gras und keine Ranke wachsen wollte.
»Hier muß es sein«, sagte Louise zweifelnd. Sie stand vor einer hohen Wand mit einer einzelnen Tür aus goldenem Eichenholz, die vom Alter ganz dunkel geworden war. An der Seite befand sich ein Messingpaneel mit einem Lautsprechergrill. Alles sah viel zu primitiv aus, um Datavis zu benutzen, also drückte Louise einfach den elfenbeinernen Knopf auf dem Paneel.
»Ja?« ertönte eine verzerrte Stimme.
»Ich möchte gerne mit Mister Robson sprechen«, sagte sie. »Ich habe vorhin angerufen. Mein Name ist Louise Kavanagh.«
Die Tür gab ein lautes Summen von sich, und Louise stieß sie auf. Dahinter lag ein rechteckiger Vorraum, der sich über die gesamte Vorderseite des Gebäudes hinzog. Er war mit schmiedeeisernen Möbeln und zwei vertrockneten Koniferen in zersprungenen Kübeln ausstaffiert. Die Tür dahinter, ein Duplikat der Eingangstür, stand offen. Louise spähte vorsichtig in den Flur. Ein blondes Mädchen, kaum älter als sie selbst, wartete hinter einem Empfangsschalter, der mit Ordnern, Flekhüllen und Kaffeetassen aus Porzellan vollgestellt war.
Sie starrte in eine kleine AV-Säule, die oben aus einem Stapel sehr teuer aussehender Prozessorblocks ragte. Bleiches türkisfarbenes Licht aus der funkelnden Säule spiegelte sich in den schmalen braunen Augen. Ihre erstarrte Haltung verriet offenes Entsetzen.
»Haben Sie das gesehen?« flüsterte sie mit heiserer Stimme. Es war die einzige Reaktion auf den Eintritt der beiden Schwestern.
»Was denn?« fragte Genevieve.
Die Empfangsdame deutete auf die AV-Säule. »Die Nachrichten.«
Louise und Genevieve starrten in die Projektion. Sie blickten auf einen ausgedehnten Park unter der typischen Kuppel einer Arkologie.
Genau im Zentrum ihres Blickfelds lag ein massives Stahlgerüst zerfetzt und verdreht über dem makellosen grünen Rasen. Mehrere der großen, wundervollen Bäume ringsum waren von ihm zerquetscht worden und lagen unter Trümmern begraben. Eine große Menschenmenge hatte sich angesammelt, und Tausende befanden sich auf dem Weg zu der Unfallstelle. Es waren Menschen, denen man ihren Kummer auf den ersten Blick ansehen konnte, als wäre das Gerüst ein geliebter Verwandter gewesen.
Louise bemerkte, daß sie ausnahmslos die Köpfe gesenkt hielten, und viele weinten sogar. Dünne Schreie hallten durch die Luft.
»Diese Bastarde!« schimpfte die Empfangsdame. »Diese elenden Bastarde!«
»Was ist das für ein Ding?« fragte Genevieve. Die Rezeptionistin bedachte sie mit einem erstaunten Stirnrunzeln.
»Wir kommen von Norfolk und sind neu auf der Erde«, erklärte Louise.
»Das war der Eiffelturm!« erklärte die Rezeptionistin. »In Paris. Und diese verdammten Anarchisten haben ihn in die Luft gesprengt! Das ist eine Bande von Irren, die da ihr Unwesen treibt. Sie behaupten, es wäre ihre Mission, die Welt auf die kommende Dunkelheit vorzubereiten. Aber jeder weiß, daß es nur die Vorboten der Besessenen sind. Diese Bastarde!«
»War der Turm denn so wichtig?« erkundigte sich Genevieve.
»Der Eiffelturm war über siebenhundert Jahre alt. Was glaubst du denn?«
Das kleine Mädchen blickte in die Projektion. »Wie gemein von ihnen.«
»Ja. Ich denke, genau aus diesem Grund gibt es das Jenseits. Damit Menschen, die solche Dinge tun, bis zum Ende aller Zeiten für ihre Sünden leiden.«
Eine Spiraltreppe führte Louise in den ersten Stock hinauf. Ivanov Robson erwartete die beiden Schwestern auf dem Treppenabsatz. Im Verlauf ihrer Reise an Bord der Far Realm hatte Louise sich an den Anblick von Menschen gewöhnt, die nicht den gewöhnlichen Proportionen entsprachen, mit denen sie aufgewachsen war. Und in London gab es eine ganz und gar erstaunliche Vielfalt der verschiedensten Menschen. Trotzdem wäre sie beinahe zurückgesprungen, als sie Robson das erste Mal mit eigenen Augen sah. Er war der größte Mensch, dem sie je begegnet war. Gut und gerne über sieben Fuß groß und mit einem Körper, der selbst für diese Größe noch massiv wirkte. Nicht, daß auch nur ein Gramm davon Fett gewesen wäre, wie sie rasch bemerkte. Er war erschreckend kraftvoll, und seine Oberarme waren dicker als ihre Beine. Seine Haut glänzte im dunkelsten Schwarz, das sie je gesehen
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