Armageddon 05 - Die Besessenen
nach Hause oder in eine der Bars und wartete geduldig, bis es wieder heller wurde, bis die Wolken aufrissen und das Ende der Sintflut ankündigten. Es waren Zeiten, in denen die Furcht erwachte. Zeiten, in denen primitive Gefühlsregungen leichter die Oberhand über den Verstand gewannen.
Gute Zeiten. Nützliche Zeiten.
Quinn Dexter blickte an dem hohen Bauwerk hinauf, in dem der Hohe Magus von New York residierte, und war zufrieden mit dem, was er sah. Der Leicester-Wolkenkratzer war keine achthundert Meter hoch. Er war genau die Art von schmuckloser, blasser Angelegenheit, die von Konstruktionsbüros mit phantasielosen Bürokraten in der Geschäftsleitung so bevorzugt wurde. Jede Originalität und jeder Schmuck wurden auf Kosteneffizienz hin untersucht und als Oberflächlichkeit abgelehnt. Nackt und ohne jede Zierde stand er da, ein gigantischer Grabstein mit Tausenden von Fenstern, nichts weiter als einer von vierzig identischen Grabsteinen, die einen Zaun um den Hackett Park in Kuppel Zwei bildeten.
Hoch oben zuckten Blitze auf die acht Megatürme herab, die rings um die Kuppel Wache standen, und die Schatten fielen in einem wilden unberechenbaren Tanz einmal hierhin, einmal dorthin. Einen Augenblick lang hatte Quinn den Eindruck, als würde sich der Leicester Tower tatsächlich bewegen, die Mauern umherspringen. Die Lichter hinter den Fenstern schienen an- und auszugehen, als stammten sie von Kerzen in einem heftigen Luftzug und nicht von modernen Elektrophosphoreszenzpaneelen. Quinn verspürte ein gewisses Maß an Befriedigung – der Sturm würde seine Aktivitäten decken.
Hinter ihm sprangen die Sektenmitglieder aus den Wagen. Nur zehn von ihnen waren Besessene – bis jetzt. Eine überschaubare Zahl für das, was ihm vorschwebte. Der Rest, Akolythen und Initiierte, folgte ihm gehorsam und voller Ehrfurcht vor den Aposteln des Bösen, die nun gekommen waren, um ihre Herrschaft anzutreten.
Glaube, so sinnierte Quinn, war eine merkwürdige Kraft. Sie alle hatten der Sekte ihr Leben verschrieben und niemals ihre Lehren in Frage gestellt. Und sie hatten sich all die Zeit in der Sicherheit des Alltags gewähnt, hatten stets geglaubt, daß sich Gottes Bruder niemals wirklich manifestieren würde. Das Fundament einer jeden Religion, daß Gott nur ein Versprechen ist, dem man zu Lebzeiten und in diesem Universum niemals begegnen würde.
Und jetzt kehrten die Verlorenen Seelen zurück, und mit ihnen die Macht, dunkle Wunder zu vollbringen. Die Akolythen waren in stumme Betäubung gefallen statt in Angst und Schrecken, die letzten Zweifel ausgelöscht. Von der Welt gebrandmarkt als der übelste Abschaum von allen, und jetzt wußten sie, daß sie die ganze Zeit über recht gehabt hatten. Daß sie gewinnen würden. Was auch immer ihnen befohlen wurde – sie würden gehorchen, ohne Fragen zu stellen.
Quinn gab der ersten Gruppe den Einsatzbefehl. Angeführt von Wener huschten die drei Akolythen eine Reihe von Stufen an der Basis der Mauer hinunter und versammelten sich vor der ungenutzten Tür. Sie installierten einen Kodebrecher-Block und schoben eine programmierbare Siliziumsonde durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Rahmen. Das Silizium bahnte sich einen Weg zwischen den alten Riegeln und Bolzen hindurch, dann formierte es sich neu und begann damit, sie zurückzuschieben. Innerhalb dreißig Sekunden war die Tür geöffnet. Keinerlei Alarm, kein verräterischer Hinweis auf den Einsatz energistischer Kräfte.
Quinn trat ein.
Der Unterschied zwischen dem Hauptquartier der Sekte und dem schmuddeligen Center auf der 8030sten Straße verblüffte selbst Quinn. Zuerst glaubte er sogar, daß sie sich vielleicht in der Adresse geirrt hatten, doch Dobbie, der Possessor von Magus Garths Körper, versicherte ihm, daß sie genau dort waren, wo sie hinwollten. Die Korridore und Räumlichkeiten waren ein Zerrspiegel vatikanischer Pracht. Die gleichen unglaublich kostbaren Möbel und Kunstwerke, doch sybaritisch statt anmutig, die Darstellungen lasterhaft verdorben.
»Scheiße, das muß man gesehen haben«, murmelte Wener, während sie durch einen der Korridore vordrangen. Skulpturen, deren einziges Thema Bestialität war, zeigten sowohl mythologische wie Xenokreaturen, und auf den prachtvollen Bildern wurden die Heiligen und Propheten der Menschheitsgeschichte auf den Altären des Lichtbringers gefoltert und geopfert.
»Seht euch nur alles ganz genau an«, sagte Quinn. »Es gehört euch. Es wurde mit den vielen
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