Armageddon 06 - Der nackte Gott
Son; sein Tonfall grenzte an Hohn.
»Meinst du vielleicht, ich hätte ihm das durchgehen lassen sollen? Du würdest nicht glauben, wie schnell sich alles auflösen würde, wenn ich nicht für Ordnung sorge.«
»Deine Gesellschaft vielleicht, aber nicht das Leben einzelner Individuen.«
»Du glaubst, eine andere Gesellschaft wäre besser geeignet, um hier zu überleben?«
»Laß einfach los und sieh zu, was sich entwickelt.«
»Das ist absoluter Mist, selbst für dich.«
Hoi Son zuckte ungerührt die Schultern. »Ich würde gerne wissen, was uns deiner Meinung nach erwartet, wenn nicht das Nichts.«
»Dieser Ort hier bietet uns Sicherheit.«
»Setzt du mich auch auf Nulldiät, wenn ich dazu eine Bemerkung mache?«
»Es würde doch nichts ändern. Ich kenne dich. Du hast bestimmt irgendwo dein eigenes kleines Vorratslager.«
»Ich habe gelernt, vorzusorgen, das will ich gar nicht bestreiten. Ich möchte lediglich vorschlagen, daß du die Möglichkeit in deine Überlegungen einbeziehst, daß die Serjeants sich nicht irren. Dieser Ort mag uns vielleicht Zuflucht bieten, wenn wir mit einer ganzen Welt hierher kommen. Aber dieser Felsen ist verdammt klein.«
»Das mag sein. Was jedoch nicht für diese Sphäre gilt. Wir sind schließlich instinktiv hergekommen. Wir wußten, daß dies der eine Ort ist, an dem wir wirklich sicher sein würden. Er kann ein Paradies sein, wenn wir einfach nur daran glauben. Du hast selbst gesehen, wie unsere energistischen Kräfte hier wirken. Es dauert länger, bis die Effekte funktionieren, aber wenn es dann soweit ist, sind die Änderungen tiefgreifender.«
»Schade, daß wir uns damit immer noch kein Essen herbeizaubern können, nicht einmal Luft zum Atmen. Ich persönlich wäre schon für ein wenig mehr Land dankbar.«
»Wenn du so denkst, warum bleibst du dann überhaupt bei mir? Warum rennst du nicht zu den Serjeants wie all die anderen Schwächlinge?«
»Du hast den Proviant sicher im Griff, und es gibt keinen Busch für mich, in dem ich mich verstecken könnte. Ehrlich gesagt, es gibt nicht einen einzigen Busch auf diesem Felsen. Was mich gewaltig stört. Dieses Land ist … nicht gut für uns. Es besitzt keinen Geist.«
»Wir können alles haben, was wir wollen.« Annette blickte aus dem offenen Ende ihres Zeltes auf den nahen, scharf umrissenen Horizont. »Wir können dem Land seinen Geist zurückgeben.«
»Wie?«
»Indem wir zu Ende bringen, was wir angefangen haben. Indem wir entfliehen. Sie halten uns zurück, siehst du das denn nicht?«
»Die Serjeants?«
»Ja.« Sie lächelte ihn an, zufrieden, daß er verstanden hatte. »Dies hier ist das Reich, in dem unsere Träume wahr werden. Aber die Träume der Serjeants handeln von Vernunft und Physik und der alten Ordnung. Sie sind Maschinen, ohne Seele, sie können einfach nicht begreifen, welche Möglichkeiten wir hier haben. Sie sind es, die unsere geflügelten Gedanken in stählernen Käfigen festhalten. Stell dir nur vor, Hoi, was geschieht, wenn wir uns dieser Fesseln entledigen könnten. Wir könnten diesen Felsen vergrößern, könnten neues Land aus den Klippenrändern wachsen lassen. Land, das mit üppigem grünen Leben bedeckt ist. Wir sind die Saat hier, wir können uns zu etwas Wunderbarem entwickeln. Der Himmel ist das, was wir daraus machen, und das ist unser Recht. Es wartet nur, irgendwo dort draußen, daß wir es uns nehmen. Wir sind so weit gekommen; wir dürfen einfach nicht erlauben, daß sie unser Bewußtsein mit ihrer dunklen Sehnsucht nach der Vergangenheit vergiften.«
Hoi Son hob eine Augenbraue. »Eine Saat? Du denkst, dieses Felseneiland ist ein Saatkorn?«
»Genau. Ein Saatkorn, aus dem wir züchten können, was immer wir wollen.«
»Das wage ich zu bezweifeln. Das wage ich sogar ernsthaft zu bezweifeln. Wir sind Menschen in gestohlenen Körpern, alles andere als gottgleiche Embryos.«
»Und doch haben wir den ersten Schritt bereits getan.« Sie hob in einer theatralischen Geste die Hände zum Himmel. »Schließlich waren wir es, die gesagt haben, es werde Licht. Oder nicht?«
»Ich habe dieses Buch gelesen, aber wer sonst noch? Aus meinem Volk kaum jemand. Wie typisch europäisch-christlich zu denken, daß eure Religion und Mythologie die ganze Welt bevölkert hat. In Wirklichkeit habt ihr uns nur Umweltverschmutzung, Krieg und Seuchen gebracht.«
Annette grinste wölfisch. »Komm schon, Hoi, zeig ein wenig mehr Entschlossenheit. Werde endlich wieder radikal. Wir können diesen Ort
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