Armageddon 07 - Zweite Chance auf Eden
wollte. Ich benutzte sie wieder und immer wieder, bis die Kommandos in Fleisch und Blut übergegangen waren. Das Erteilen von Befehlen an Servitoren. Das Übertragen meiner eigenen optischen Eindrücke. Das Empfangen der Sinneswahrnehmungen anderer Menschen. Nach und nach wurde mir bewusst, wie beschränkt ich bis zu diesem Augenblick gewesen war. Die Erde war ein Königreich voller Blinder – und Eden der einäugige Mann.
– Das ist ein unschätzbares Geschenk, sagte ich zu Wing-Tsit Chong. – Ich danke Ihnen.
– Ich freue mich, dass Sie es nützlich finden.
– Wie sind Sie ursprünglich auf die Idee gekommen, dass es überhaupt so etwas wie Affinität gibt?
– Eine Fusion einzelner Disziplinen. Meine spirituellen Grundsätze sagten mir, dass sich alles Leben in Harmonie befindet. Als Wissenschaftler war ich fasziniert vom Konzept nicht-logischer Interaktion, einer mathematischen Erläuterung des atomaren Durcheinanders. Die Quantentheorie gestattet uns, Partikel als Welle zu betrachten, also kann die Wellenfunktion eines Partikels die eines anderen überlappen, auch wenn sich beide Partikel in einer gewissen räumlichen Distanz voneinander befinden. Ein Effekt, der einmal als ›atomare Telepathie‹ beschrieben wurde. Die ursprünglich von mir entwickelten neuralen Symbionten gestatteten mir, diese Lücke auszunutzen und eine Art unmittelbarer Kommunikation zu erschaffen. Identische, geklonte Zellen sind in der Lage, den Energiezustand ihrer Zwillinge zu sehen. Sie befinden sich in Harmonie.
– Aber wenn die Affinität Ihre buddhistischen Prinzipien bestätigt hat, warum haben Sie Ihren Glauben dann abgelegt?, fragte ich verwirrt.
– Ich habe die grundlegenden Lehren Buddhas nicht abgelegt, ich suche nur nach einem anderen Weg zum Dharma, oder dem Gesetz der kosmischen Ordnung, denn das ist das Ziel des buddhistischen Weges.
– Aber wie?
– Ich betrachte die Natur des Gedankens selbst als spirituell. Die Gedanken der Menschen sind ihr Geheimnis, ihre Seele. Jeder Zustand der Existenz befindet sich darin. Buddhisten glauben, dass die Gedanken gereinigt und vereinfacht werden sollten, um Fortschritte auf dem Weg zu erlangen. Ich für meinen Teil betrachte jeden Gedanken als heilig. Jeder Gedanke sollte geachtet und geschätzt werden, ganz gleich, was er beinhaltet; nur die Erfahrung kann die Seele bereichern. Und Erfahrung gewinnt man nicht allein durch Meditation. Wenn man nur bemüht ist, seine Gedanken zu reinigen, wird man zu einer Denkmaschine, einem biologischen Computer. Wir Menschen sind zu mehr geschaffen.
Hoi Yin nickte zustimmend zu jedem Satz, den Chong von sich gab. Sie hatte die ganze Zeit über meinem Unterricht beigewohnt und Wing-Tsit Chong geholfen, mich in den Grundlagen zu trainieren. Ihr Verhalten mir gegenüber hatte sich nicht geändert, und Affinität hatte mir gezeigt, dass ihre Gedanken genauso hart und kalt waren wie ihr Verhalten nach außen. Doch sie diente dem alten Mann hingebungsvoll. Ich wurde von Minute zu Minute neugieriger über die Natur dieser Beziehung. Zuerst hatte ich gedacht, sie wäre vielleicht eine Verwandte, eine Enkelin oder Nichte, doch jetzt sah ich, dass es eine andere Verbindung sein musste. Sie nannte sich selbst seine Schülerin. In meinen Augen war sie mehr ein Jünger.
– Sehen Sie das auch so?, fragte ich sie.
Wachsame gelbbraune Augen musterten mich eine volle Sekunde lang auf der Suche nach Verrat in meiner Frage. – Selbstverständlich. Ich habe gelernt, meine Gedanken rationell zu ordnen. Zu akzeptieren, was ich bin, und dankbar zu sein dafür. Ich erfreue mich an der Essenz des Lebens.
Und warum lächelst du niemals?, fragte ich mich insgeheim.
– Hoi Yin hat viel erreicht in der Zeit, die sie nun schon bei mir ist, sagte Wing-Tsit Chong. – Doch mein begierigster Schüler ist Eden selbst, und meine größte Herausforderung dazu.
Ich konnte nicht verhindern, dass ein erstauntes Grinsen auf mein Gesicht trat. – Was denn, Sie unterrichten Eden über den buddhistischen Weg? Die Vorstellung war lächerlich; ich hoffte inbrünstig, dass ich inzwischen gelernt hatte, meine Phantasien für mich zu behalten und nicht in das Affinitätsband auszustreuen.
– Nein. Ich lehre Eden zu denken, das ist alles. Das ist der Grund, aus dem ich hier bin. Diese ganze technophile Eroberung des Jupiter interessiert mich nicht im Geringsten, mit Ausnahme einer rein akademischen Bewunderung der Leistungen, die die Techniker der JSKP vollbringen. Ich
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