ARMAGEDDON, die letzte Schlacht
Bewegung ihrer Schwingen. Ihr Flug verlor an Rasanz, und Liliths Echolotsinn fing die Öffnungen in den Wänden zu beiden Seiten deutlicher auf, brannte sie förmlich in ihre Wahrnehmung, und aus jeder meinte sie etwas wie einen Sog zu verspüren, warm und lockend . Als wispere eine schmeichelnde Stimme ihr zu, als streichle eine samtene Hand ihr Denken; ein Gefühl, so angenehm, daß Lilith es nicht mehr missen mochte. Nur eines wollte sie noch: ihm nachgeben, ihm folgen, auf ewig fühlen, was es an Geborgenheit vermittelte.
Hinter jeder Tür aus dem Tunnel würde sie es finden, reiner noch, als sie es jetzt empfand.
Es verhieß - Rettung. Sicherheit. Für immer. Sie konnte all dem Grauen, das sie in der Gegenwart wußte, entkommen. Sie brauchte nur eines zu tun: den Korridor verlassen, jetzt und hier, irgendwohin, an irgendeinen Ort, in irgendeine Zeit - jede nur denkbare mußte besser sein als jene, die sie gerade verlassen hatte.
Lilith spreizte die Flügel weit ab, spannte die Muskeln in den Gelenken, hielt eisern stand, als lichtdurchflutete Luft sich in den ledernen Häuten fing, bis ihr kleiner Leib zum Stillstand gekommen war. Wie ein Stein wollte er zu Boden stürzen, aber noch im Fall leitete Lilith die Rückverwandlung ein. Sicher kam sie auf, federte leicht in den Knien nach.
Gespannt, wie lauernd blieb sie stehen. Unschlüssigkeit plagte sie, nagte und fraß wie ein Parasit in ihr. Sie sah nach links, dann nach rechts. Zu jeder Seite lag ein Ausgang aus dem Tunnel, und sie unterschieden sich in nichts voneinander: dunkle Höhlungen, scheinbar nirgendwohin führend. Nicht der geringste Funke Helligkeit glomm im einen oder anderen, wovon sie ihre Entscheidung vielleicht abhängig gemacht hätte.
Denn ihr Entschluß, den Tunnel hier zu verlassen, um allem zu entfliehen, stand schon fest, so unverrückbar, daß Lilith auf einer tieferen Ebene ihres Denkens fast darüber staunte.
Dann aber verlor dieses Staunen an kaum gewonnener Macht, unterlag jenem lockenden und so verheißungsvollen Gefühl, noch ehe Zweifel und Widerstand daraus erwachsen konnten.
Rechts! entschied sie sich.
Lilith wandte sich um, ging auf die Wand zu, blieb vor dem lichtlosen Durchlaß stehen, als hindere sie eine unsichtbare Hürde am Weitergehen. Zögernd streckte sie den Arm vor und brachte die Finger näher an die nicht durchschaubare Öffnung in der Wand heran. Ihre Fingerkuppen berührten die Dunkelheit, tauchten darin ein, wurden unsichtbar, waren schon drüben!
Lilith verspürte einen sachten, wohligen Hauch, der ihre Fingerspitzen umschmeichelte, als würden sie von warmen, weichen Lippen geküßt.
Dieses wunderbare Gefühl wollte Lilith überall spüren, auf ihrem ganzen Körper. Diese Wärme - was mochte sie bedeuten, was verheißen? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden .
Lilith setzte an zum entscheidenden Schritt, der ihr Schritt in eine andere Welt und Zeit sein sollte. Ihre Zehen verschwanden in der Schwärze, der Fuß folgte und - Titanenfäuste schlugen auf Lilith ein! Unsichtbar, aber mit Urgewalt!
Lilith wurde von unvorstellbarer Kraft regelrecht davongedro-schen. Etwas Machtvolles wie ein Orkan hielt sie gepackt und ließ sie nicht mehr los. Imaginäre Trümmer schienen im selben Strom gefangen zu sein, und Lilith schrie ein ums andere Mal schmerzerfüllt auf, wenn sie davon getroffen wurde.
Rasend schnell wurde sie durch den Korridor getrieben, als ginge es nicht in horizontaler Richtung voran, sondern als stürze sie in einen bodenlosen Abgrund hinab.
Dunkel entsann Lilith sich jenes Mahlstromes, der sie beim ersten Mal im Korridor erfaßt hatte. Doch was sie jetzt erlebte, unterschied sich von dem, was ihr damals widerfahren war: Diese Kraft sog sie nicht an, sie trieb Lilith vorwärts, war von hinten gekommen, schien ihren Ursprung am Eingang des Korridors in Uruk zu haben!
Als gäbe es dort etwas, das wollte, daß Lilith ihr Ziel unter allen Umständen erreichte - etwas oder jemand . ..
Wie ein welkes Blatt im Sturm wirbelte Lilith durch den Tunnel. Unten, oben, links und rechts hatten ihre Bedeutung längst verloren.
Es gab nur noch Chaos und Schmerz für Lilith, und was immer sie im Griff hielt, es stank nach Pestilenz, war von arktischer Kälte und glühender Hitze gleichermaßen durchwirkt.
Die Sinne schwanden Lilith in dem Augenblick, da sie für den winzigsten Bruchteil einer Sekunde etwas auszumachen glaubte, was das Ende des Korridors sein konnte. Ein heller Fleck im Nichts,
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