ARMAGEDDON, die letzte Schlacht
scheinbar von innen heraus leuchtende Facetten, die in Wahrheit wohl das Sternenlicht zurückwarfen, starrten sie an. Und die Art und Weise, wie dieses kleine Insekt sich ein Bild von ihr zu machen versuchte, berührte Lilith tiefer, als der Blick eines Menschen es je vermocht hätte.
Sie räusperte sich, ehe sie halblaut fragte: »Kannst du mir sagen, ob er noch da ist? Oder wie ich ihn rufen kann?«
Facettenaugen können nicht blinzeln, und dennoch war es Lilith für einen flüchtigen Moment, als schöben sich Lider aus Schatten über das unschuldige Leuchten.
Verwirrt setzte sie das winzige Geschöpf, das eine Kreuzung aus Wanderheuschrecke und Skarabäus zu sein schien, wieder auf den Boden zurück. Danach erhob sie sich.
In den Bäumen und im Gestrüpp des Waldes raschelte der Wind in den Blättern, knackten Zweige, erklangen Geräusche, die nicht eindeutig zu definieren waren.
Das ist nicht das Ende des Tunnels, dachte Lilith. Ich muß durch eines der Seitentore hinausgespült worden sein; in irgendeine Epoche auf dem Weg zum Anfang . .. !
Wenn dem tatsächlich so war, mußte sie unverzüglich zurück und weiter dem schnurgeraden Verlauf des Korridors folgen!
Fieberhaft versuchte Lilith die Schatten des Waldes zu durchdringen. So wenig sie sich aber erinnern konnte, den Strom der Zeit verlassen zu haben, so wenig fand sie nun den Weg in ihn zurück!
Jede Bewegung, jeder tastende Schritt im Dunkel fiel plötzlich dreifach schwer. Die Vorstellung, nicht nur irgendwann vom Weg abgekommen, sondern dazu verurteilt zu sein, hier zu bleiben, wollte ihr Blut zu Eiswasser werden lassen.
War sie am Ufer der Zeit, irgendwo an den Seitenarmen des langen Flusses gestrandet, ohne Aussicht, jemals wieder von der Strömung aufgenommen zu werden?
In jeder Minute, jeder Stunde, die ich hier vergeude, sterben in der Zukunft Menschen! Ich vermag nicht einmal zu schätzen, wie viele! O Gott ...! Wenn du mich hörst, wenn du mich spürst ... irgendwie ... dann HILF MIR! Nicht um meinetwillen. Tu es für deine Schöpfung!
Lilith erstarrte.
Von hinten, aus den Schatten, berührte sie etwas sacht zwischen den Schulterblättern, und dieses Etwas fühlte sich nicht wieder an wie ein krabbelndes Insekt, sondern .
. wie die Hand eines Menschen!
Mit einem leisen Schrei fuhr sie herum.
*
»Wer bist du? Hast du keine Angst?«
»Angst?«
»Es ist gefährlich. Scher dich heim an dein Feuer!«
Lilith starrte auf die vage erkennbaren Umrisse eines Jungen, der seiner Größe nach noch ein Kind hätte sein müssen, jedoch eine ge-radezu unheimliche Reife ausstrahlte. Gedrungen stand er da. In der Faust, die neben der Hüfte baumelte, schien er eine primitive Waffe zu halten. Daß er Lilith dennoch nicht angegriffen, sondern mit der freien Hand nur vorsichtig angetippt hatte, war beachtlich.
»Was ist gefährlich?«
Der Junge trug nur ein Tierfell um die Lenden. Ansonsten war er nackt. Liliths Kleidung war kaum bedeutender. Der Symbiont gefiel sich in Feigenblattgröße. Nicht einmal die Brüste verhüllte er.
Auf meinem Mist, dachte Lilith, ist diese »Mode« nicht gewachsen.
»Allein herumzulaufen«, erhielt sie Antwort.
»Und du?« spottete sie. »Bist du nicht allein?«
Im Dunkel schien der fremde Junge leicht zusammenzuzucken. »Du sprichst nicht wie eines unserer Weiber - und du siehst auch nicht so aus. Du bist viel größer. Und hast kaum Haare ...«
Kaum Haare? Unwillkürlich kämmte sich Lilith mit gespreizten Fingern durch ihre Mähne.
»Zu welchem Stamm gehörst du?« fragte der Junge.
»Zu gar keinem Stamm.«
»Du mußt zu einem Stamm gehören! Wo sind die anderen? Haben sie sich versteckt? Führt ihr Böses im Schilde?«
»Da ist niemand außer mir. Ich bin allein.«
Der Junge wich einen Schritt zurück. Vielleicht bereute er schon, ihr seine spitze Waffe nicht in den Rücken gerammt zu haben. Lilith hatte nicht die leiseste Ahnung, was in ihm vorging.
Und umgekehrt mußte es genauso sein.
»Wie heißt du?« fragte der Junge.
»Lilith .« Sie wartete eine Weile, als hielte sie es für denkbar, daß ihr Name eine besondere Reaktion auslöste. Als sicher war, daß dies nicht mehr zu erwarten war, fragte sie: »Und du?«
»Maarn.«
»Ich habe mich verirrt, Maarn. Vielleicht kannst du mir helfen.«
»Verirrt?«
Lilith war nicht sicher, aber sie hatte den Eindruck, daß das Mißtrauen des Jungen ihr gegenüber wuchs. »Gibt es in der Nähe einen Ort, den dein Stamm meidet, fürchtet oder der euch
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