ARMAGEDDON, die letzte Schlacht
der weise Chinese sich so alt gefühlt wie jetzt. Obwohl er kaum zu sagen vermocht hätte, wann dieses Jetzt eigentlich war. Gestern, heute und morgen, hier oder da - all dies war ohne tieferen Sinn für ihn, der die Wirklichkeiten durchstreifte wie andere die Räume eines riesigen Hauses.
Eines aber erkannte Chiyoda nunmehr mit niederschmetternder Wahrhaftigkeit: Seine Wanderungen durch die Welten, sie waren nie mehr gewesen als Flüchten, nur Versuche, der einen grausamen und echten Wirklichkeit zu entkommen.
Und letztendlich war er in diesem Bemühen gescheitert. Die Ereignisse der allerjüngsten Vergangenheit zwangen Chiyoda zu diesem Eingeständnis, und es schmerzte ihn mehr als alles zuvor.
Seinem Fluch hatte er nicht entkommen können. Nicht auf Dauer. Wie hatte er sich auch anmaßen können, als kleiner Mensch, der er schlußendlich doch nur war, einer Macht widerstehen zu können, die Menschengenerationen mit Verdammnis gestraft hatte?
Selbstbetrug war alles, was er unternommen hatte. Und mehr noch: Nicht allein sich selbst hatte er belogen, sondern - und diese Erkenntnis traf ihn fast härter noch - so viele andere, die alle Hoffnung auf ihn gesetzt hatten. Weil er diese Hoffnung in ihnen geweckt hatte!
So viele waren es, die ihm geglaubt, an ihn geglaubt hatten, daß er ihnen in seinem abgeschiedenen Domizil in der Mandschurei Wege aufzeigen könnte, wie sie dem Wolfsfluch entrinnen könnten.
So viele hatte er enttäuschen müssen .
Weil es eine Flucht vor dem Fluch nicht gab. Weil niemand dem Leben entfliehen konnte ...
Ein Laut kam über Chiyodas schmale Lippen, so schauerlich, daß er selbst davor erschrak - - wie auch unter der Berührung, die er plötzlich an der mageren Schulter spürte!
Ein Atemzug, witternd wie der des Wolfes, genügte, um ihn zu verraten, wer da zu ihm getreten war.
»Makootemane - mein Freund.« Die Stimme des Weisen klang heiser und schwach wie im Fieber.
Der uralte Arapaho ließ sich neben Chiyoda ihm Gras nieder.
»Du solltest dich nicht länger geißeln«, sagte Makootemane.
Der Chinese lachte bitter auf.
»Ich muß mich nicht selbst geißeln«, erwiderte er. »Das Leben an sich ist meine Geißel.«
»Nur solange du es zuläßt.«
»Ich habe mich verweigert, und letztlich war es vergebens«, erinnerte Chiyoda.
»Du bist stark genug, um es wieder zu tun. Wieder mit Erfolg.«
»Zu welchem Zweck? Um am Ende doch wieder zu versagen?«
»Was geschehen ist«, sagte der Arapaho, »sollte dich nicht verzagen lassen, sondern stärken. Du kennst nun den Grund, wie es angehen konnte, daß die Bestie in dir erwachte. Ein zweites Mal wird es ihr nicht gelingen. Du bist schlauer als der Wolf in dir.«
»Aber weder schlauer noch stärker als der, der den Wolf zu wecken wußte.«
»Gemeinsam sind wir es.« Makootemane wandte den Kopf und wartete, bis Chiyoda ihm das Gesicht zudrehte. Ruhig sah er in die wässrigen Augen des anderen.
»Haben wir es nicht bewiesen, indem wir dir den Weg aufzeigten in diese Wirklichkeit?«, fragte er. »Erinnere dich, daß wir mehr nicht getan haben - gegangen bist du diesen Weg allein, aus freiem Willen und eigener Kraft. Wieviel Hoffnung brauchst du noch?«
Soviel Vertrauen und Überzeugung lagen im Ton des Arapaho, daß Chiyoda unweigerlich lächelte, müde zwar, aber aus tiefem Herzen. Vielleicht hatte der uralte Indianer recht. Letztlich hatte er, Chiyoda, die Stärke aufgebracht, sich selbst zu helfen. Er hatte der unbändigen Mordlust, die das Zeichen des Schöpfers aller Werwölfe in ihm und allen Fluchträgern geweckt hatte, entsagt - einmal mehr, wie vor unzähligen Jahren schon. Er war ein weiteres Mal entkommen in eine andere Wirklichkeit, wo der Keim des Wolfes ohne Macht über ihn war. Natürlich hatten seine Freunde ihm dabei geholfen, den entscheidenden Schritt allerdings hatte er selbst, ganz allein tun müssen - und er hatte ihn getan! 11
Es mochte stimmen, was Makootemane gesagt hatte: Er, Chiyoda, durfte nicht mehr verlangen. Er hatte das Höchstmaß aller Erwartungen, die er an sich selbst stellen konnte, erfüllt. Aber - »- die anderen«, sagte er leise, und von der Kraft, die er eben noch in sich gespürt hatte, gelangte kaum etwas in seine Stimme, »sind es, um die ich mich sorge. Was wird mit ihnen? Zu welchem Zweck werden sie mißbraucht? Ich möchte - nein, ich muß ihnen helfen ...«
»Du bist nicht verantwortlich für ihr Tun«, meinte Makootemane.
»Und du kannst ihnen nicht helfen!«
Eine dritte Stimme
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