Armegeddon Rock
abzufahren. Die meisten von ihnen standen noch, schüttelten sich und schrien. Ganz vorn kletterte eine Frau auf ihren Sitz und begann zu tanzen. Als die Nazgûl zum ersten Refrain kamen, sangen etwa hundert Stimmen laut Oooooh, napalm! Oooooh my napalm love!, so wie Tausende es einst bei Konzerten und Demonstrationen und 1.
Mai-Märschen gesungen hatten.
Richmond gab sein Bestes, sein gottverdammt Bestes…
Yeah, it’s hot because love ya!
Oh, it burns because we love ya!
… aber selbst jetzt wo das Publikum voll dabei und frenetisch und aufnahmewillig war, wo es bereit war, wo Maggio Leadgitarre spielte, wie er es seit Jahrzehnten nicht mehr getan hatte, wo der Baß treibend und unheildrohend war, selbst mit all den Erinnerungen auf seiner Seite war Richmonds Bestes einfach nicht gut genug. Sandy hätte Schwierigkeiten gehabt, genau zu sagen, wann die Veränderung eintrat, aber sie trat ein. Langsam, einer nach dem anderen, schienen sie im Publikum zu erkennen, daß es nicht Hobbins war, den sie hörten, sondern ein raffiniertes künstliches Abbild, das auch nicht annähernd so gut singen konnte. Einer nach dem anderen setzten sie sich allmählich wieder hin und machten es sich bequem. Der zweite Refrain rief eine viel schwächere Reaktion hervor. Maggio und Faxon gaben sich während der Bridge alle Mühe, improvisierten miteinander, brachten es so hart und heiß wie sie konnten, und das schien ein bißchen zu helfen, aber nur, bis Richmond wieder zu singen begann. Der Schlußrefrain wurde von der Band gesungen, und verdammt wenige Stimmen aus der Menge unterstützten sie. Die tanzende Frau war von ihrem Sitz heruntergestiegen. Der Applaus war kräftig, warm, respektvoll… aber irgendwie zögernd.
Jetzt wartete das Publikum. Jetzt waren sie nicht mehr sicher.
»Und das war einer der alten Songs«, sage Sandy wie betäubt zu Ananda. »Sie sind in Schwierigkeiten.«
›Napalm Love‹ hätte das Konzert explosiv losgehen lassen und das Energieniveau im Saal etliche Grade nach oben treiben sollen, deshalb ließen die Nazgûl »Sins« darauf folgen, einen der leiseren neuen Songs. Das war ein schwerer Fehler. Der unbekannte Song rief in der Menge keine Erinnerungen wach, rührte an keiner emotionalen Saite, und seine relative Ruhe ließ die Unzulänglichkeiten in Richmonds Hobbit-Imitation um so deutlicher hervortreten. Er tat sein Bestes, wie immer, und immer noch sah er Hobbins dort oben sehr ähnlich, er hatte all die Gesten und Bewegungen parat… aber der Applaus war nur lauwarm.
Gopher John war nicht der einzige, der ein finsteres Gesicht machte, als die Nummer vorbei war; Faxon sah auch nicht allzu glücklich aus, und Maggio war bereits schweißnaß. Sie gingen von »Sins« zu »Goin’ to the Junkyard« mit seinem lauten, krachenden, gnadenlosen Beat und der griffigen Refrainzeile über. Theoretisch mochte sie vielleicht griffig sein, aber keiner aus diesem Publikum griff sie auf. Und das war vielleicht der beste von den neuen Songs, dachte Sandy. Er stand dort in den Seitenkulissen, hielt Anandas Hand und verspürte ein merkwürdiges Gemisch von Emotionen. Was für verrückte Träume von einem Rock ’n’ Roll-Armageddon Edan Morse auch gehabt haben mochte, da draußen auf der Bühne starben sie, und Sandy empfand eine gewisse Erleichterung darüber… und doch merkte er gleichzeitig, daß er enttäuscht und mehr als nur ein bißchen traurig war.
»Flying Wing« stürzte ab und verbrannte. »Dying of the Light« verlosch, und inzwischen konnte man die Unruhe im Saal wirklich spüren. Alle saßen auf ihren Sitzen. Das erste Nazgûl-Konzert seit 1971, ein volles Haus, und sie kamen nicht von ihren verdammten Sitzen hoch; es war beinahe tragisch. Die Reaktion schien mit jedem Song, den die Band brachte, schwächer zu werden. Nach »Dying of the Light« knurrte Maggio tatsächlich in sein Mikrofon: »Hey, Mann, is’ jemand von euch Arschgeigen da draußen wach? Wir spielen Rock, Mann.«
»Nein, tut ihr nicht!« gab ein Zwischenrufer zurück.
Faxon warf Maggio einen langen, verzweifelten Blick zu. »Visions in the Dark«, sagte er. Das brachte ein bißchen Schwung in die Sache. Gopher John legte sich richtig in das Schlagzeugsolo, und aus dem Publikum kamen Pfiffe und Beifallsschreie, und Maggio war bei den kniffigen Gitarrenparts zuverlässig, wenn auch nicht inspiriert, und löste selbst ein paar Rufe aus. Der Applaus hinterher war ein bißchen wärmer. Aber wieder mischte sich die Stimme des
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