Arminius
ihnen die Ebene öffnete. Sein Herz jubelte, als er seinen Blick schweifen ließ über die Felder mit dem sprießenden Leben, das Gehöft in der Senke, in dem das pralle, das so herrlich lebendige Leben herrschte in seiner wundervollen und einzigen Alltäglichkeit, in dem allein die Wahrheit liegt.
Auf dem Weg kam ihm ein Tross von fünfzig Prätorianern entgegen, die Rinder, Schafe und Schweine mitführten. Sie grüßten Arminius freundlich und waren offensichtlich bester Laune. Er wunderte sich, dass Angehörige der Leibwache des römischen Statthalters Vieh durch die Landschaft trieben, wohl einkassierte Steuern. Darin bestand eigentlich nicht ihre Aufgabe. Wer weiß, irgendeinen Grund mochte das schon haben. Flüchtig erwiderte er ihren Gruß. So überraschend, wie er ihrer ansichtig geworden war, so schnell verschwanden sie auch wieder aus seinem Bewusstsein, denn seine Gedanken eilten ihm voraus nach Hause.
In diesem Moment empfand er eine heftige Sehnsucht danach, mit seinem Vater die Tiere auf die Frühjahrsweide zu treiben, mit der Aussaat zu beginnen und etwas später die Lämmer zu schlachten für das Fest der großen Mutter, für Nerthus. Sie würden mit dem Blut der Lämmer, das sie aufgefangen hatten, die Ackerkrumen und die Sprösslinge benetzen. Denn Leben musste vergossen werden, wenn neues Leben sprießen sollte. Und dabei würden sie reden. Ganz tief in sich spürte er eine große Entspannung, nichts anderes als das Glück des Ankommens.
Beim Näherkommen regte sich Unruhe in ihm. Das Gehöft wirkte still, nichts schien sich dort zu bewegen, als sei alles eingefroren und läge unter einer dicken Eisschicht. Ein ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner. Er spürte eine böse Vorahnung, die er hilflos beiseitezuschieben versuchte. Nun hetzte er den armen Schimmel, dass bald schon der Schweiß in Fetzen von ihm flog. Heban mochte sich mühen, wie er wollte, aber er kam jetzt tatsächlich nicht hinterher.
»Gefolgsherr!«
Doch Arminius hörte den Ruf nicht mehr, Furcht, reine, heiße, jede Zelle seines Körpers durchschneidende Angst jagte ihn, trieb ihn und lachte ihn gleichzeitig aus. Wie ein Wirbelsturm raste er in den Hof hinein, sprang vom Pferd, noch ehe der Schimmel stand, strauchelte und fand den Vorplatz des Langhauses mit Leichen übersät. Als ob sie aus bösem Witz heraus schliefen. Als wollten sie ihn zynisch mit ihrem Tod verspotten. Ihn, den zu spät Gekommenen. Er stolperte, fiel auf seine Knie und blickte kurz nach oben. Am Himmel stand keine Wolke, nur die Sonne glotzte blöd herunter. Am liebsten hätte er gerufen ›Genug gescherzt, steht auf, liebe Leute‹, aber er wusste nur zu gut, dass hier niemand spaßte, sie waren alle tot.
Worüber der Tod lachte, darüber konnte der Mensch nur trauern. Panisch begann Arminius sich zu erinnern, denn er hatte all diese hingemetzelten Menschen über anderthalb Jahrzehnte nicht gesehen. Das dort, der mit dem zertrümmerten Schädel, das musste Bärwald sein, der Bruder seines Vaters, und die mit dem zerrissenen Kleid, die grotesk breitbeinig dalag, seine Tante. Und der junge Mann mit den weit aufgerissenen Augen ihr Sohn, sein Vetter. Aber wo waren Vater und Mutter? Er irrte zwischen den Leichen umher, manche erkannte er wieder, manche waren ihm fremd, bei anderen meldete sich eine Vermutung, bei wieder anderen nur eine Ahnung. In einiger Entfernung saß ein Iltis und nagte an den Wangen eines toten Mädchens. Wie gebannt hielt Arminius inne. Es hatte so etwas Friedliches, wie das Tier dort saß und einfach nur im Sonnenlicht Mahlzeit hielt. Stille umgab sie wie eine Zwinge. Sie waren die Einzigen, die hier noch zu leben schienen, der Iltis und er. Ohne Groll griff er langsam zu seinem Dolch und warf ihn. Der Iltis reckte sich kurz in die Höhe, als wollte er etwas sagen, dann fiel er in sich zusammen.
Arminius ging zu ihm und zog sein Messer aus dem Kadaver. »Tut mir leid, aber du kannst hier doch nicht einfach meine Verwandtschaft auffressen. Das geht doch nicht.«
Dann trottete er schicksalsergeben wie zu seiner eigenen Hinrichtung ins Haus. Den alten, lieben Innenraum, der ihm Schutz-und Schlaf-und Spielplatz in seinen ersten Lebensjahren geboten hatte, fand er verwüstet vor. Vom Dachbalken hing an einem Strick sein Vater. Aus seinem aufgeschnittenen Bauch baumelten die Gedärme. Zu seinen Füssen lag seine Mutter, aus deren Stirn ein Dolch ragte. Er schnitt seinen Vater vom Strick und legte ihn sacht neben seine Mutter. Zu
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