Arminius
wurde.
»Was haben die Leute ausgefressen?«, fragte Arminius den Anführer.
»Ihre Steuern nicht bezahlt, Tribun.«
Diesen Rang nahm Arminius tatsächlich ein, den eines Offiziers, eines Militärtribuns.
»Und was geschieht mit ihnen?«
»Sie werden in die Sklaverei verkauft, vom Erlös wird die Steuerschuld beglichen.«
»Wer hat dieses Vorgehen angeordnet?«
»Marcus Lupus, und Varus hat es bestätigt!«
Arminius trieb sein Pferd an, er wollte nicht, dass die Legionäre den Ärger in seinem Gesicht, den sie ohnehin nicht verstanden hätten, entdeckten oder schlimmer noch, dass er sich zu einer unbedachten Handlung hinreißen ließ. Er konnte sich doch nicht gegen den Statthalter stellen. Jeder Angriff auf Varus würde unweigerlich als Unbotmäßigkeit dem Kaiser gegenüber gewertet werden. Auch wenn Augustus ihn mochte, so gab es doch enge Grenzen der Hierarchie, die niemand ungestraft überschreiten durfte. Arminius waren die Hände gebunden – mit den schweren Ketten des Rechts und der Loyalität. Er konnte für die armen Menschen nichts tun.
Er trieb sein Pferd so heftig an, dass Heban Mühe hatte, ihm zu folgen. Lange jagten sie dahin, bis sie aus dem Galopp wieder in den Trab fielen.
Als er in der Ferne auf einer Anhöhe die Umrisse eines kleinen Kastells entdeckte, erkundigte sich Arminius verwundert bei seinem Begleiter, welcher Vorposten dort hauste. Es war ihm in der Tat nicht bewusst gewesen, wie tief die Römer ihre Stützpunkte ins Cheruskerland geschoben hatten.
»Das ist der Vorposten des Steuerpächters«, antwortete Heban mit einer Mischung aus Verachtung und Hass und fügte hinzu: »Der Hof des Segestes, der gemeinsame Sache mit dem Blutsauger macht!«
Jetzt erinnerte sich Arminius. Natürlich kannte er diese Anhöhe! Dort hatte einmal die Wohnhalle des Segestes gestanden, für damalige Verhältnisse bereits stattlich, verglichen mit dieser Burg allerdings nur eine Hundehütte.
»Die Kumpanei scheint sich zu lohnen!«, sagte er bitter. Aber sein Missmut war weniger im Zorn auf Segestes begründet, als in der Verletzung, die Elda ihm zugefügt hatte. Für irgendeinen Ansar hatte sie ihm einen Korb gegeben! Hatte sie denn damals die Heimat verlassen müssen? War sie gezwungen gewesen, mutterseelenallein in der Fremde zurechtzukommen, getrennt von den Eltern, den Verwandten und den Freunden, sich durchzuschlagen und achtzugeben, um zu überleben? Ohne Hilfe, ohne Liebe?
»Was ist mit dir, Gefolgsherr?«, fragte Heban.
»Nichts«, antwortete Arminius und trieb seinen Schimmel an. Plötzlich sehnte er sich nach seinen Eltern, und seltsam, vor allem nach seinem Vater. Ihn wollte er in die Arme schließen. Mit ihm reden, von ihm Rat und Hilfe einholen, denn er fand sich in seiner Welt nicht mehr zurecht.
Zu seinen Freunden zählten Germanen und Römer, eigentlich mehr Römer – und dennoch fühlte er sich von sich selbst geschieden, als handele er in einer Scheinwelt und wäre selbst nur eine Puppe, die er obendrein eigenhändig von außen führte. Was war das nur in ihm, das immer wieder gegen sein Römertum aufbegehrte? Seine Kinder könnten sogar Senatoren werden, eine gute Karriere hatte er bereits gemacht, eine noch steilere lag vor ihm, wenn er sich nicht allzu dumm anstellte. Warum stieg in ihm immer wieder das Gefühl hoch, dass er ein anderer wäre, dass es einem Fremden geschähe, der nur zufällig so heiße und nur so aussähe wie er?
Durch das Wiedersehen mit dem Vater, darin bestand Arminius’ verzweifelte Hoffnung, würde er sich selbst wiederfinden. Vielleicht verbarg sich ja hinter dem, was er als Verrat empfunden hatte, nur ein großes Geheimnis, das darauf drängte, enthüllt zu werden. Er war alt genug dafür. Und wieder trieb er sein Pferd an.
»Ho ho, Gefolgsherr, ich komme ja gar nicht hinterher«, schrie Heban.
»Streng dich an, Himmel, es geht nach Hause!«
»Nach Hause?«
»Nach Hause!«
So flogen sie über die Äcker, die Hügel, durch die Wälder, über das erste, immer kräftiger werdende Grün, die beiden jungen Männer auf ihren Rössern, die so schnell waren, als besäßen sie Flügel. Und nur der Wind wetteiferte mit ihnen. Nach Hause! Aus lauter Vorfreude stiegen Arminius Tränen in die Augen, nach sechzehn Wintern kehrte er aus der Fremde zurück. Aus dem entführten Knaben war ein Mann geworden. Es mag sein, dass ein Junge seinen Vater braucht, aber ein junger Mann benötigt ihn noch mehr, dachte er, als sie aus dem Wald jagten und sich vor
Weitere Kostenlose Bücher