Arminius
unterwegs aufsammelte, nicht in Kenntnis, sondern nur noch mehr in Unruhe versetzt. Was erwartete ihn? Wohin begab er sich eigentlich?
Die Rugier, den Semnonen eng verwandt, ließen die drei jungen Menschen unbehelligt passieren. Und schließlich standen Arminius, Elda und Heban am Meeresufer und blickten auf die Insel der Rugier. Ein Fischer setzte sie über und lud sie in sein Haus ein. Dort trafen sie auf Istvaez, einen Priester der Semnonen. Er kannte Heban, und er kannte Nehalenia, die er verehrte. Sie sei die klügste Frau jenseits der Albia, erklärte er. Als er erfuhr, wohin Arminius wollte und was es mit seiner Reise auf sich hatte, lud er ihn zu einem Spaziergang ein.
Sie gingen am steinigen Strand entlang, rechts das dunkle Meer, von dem es kalt herüberwehte, links die Steilküste. Zuweilen schritten sie an einem Tierschädel vorbei, dessen Weiß, wenn er schon lange hier lag, inzwischen die dunkle Farbe der Steine angenommen hatte.
»Die Zeit hat Schädel und Knochen angegraut, wie sie uns allen das Leuchten des Lebens nimmt und allmählich in Erde oder Kies verwandelt. Ich nehme dich mit, aber bedenke, es könnte dein Ende sein. Niemand, auch ich nicht, könnte dich retten«, begann Istvaez.
»Darf man seiner Bestimmung ausweichen?«
»Du bist entschlossen?«
»Ja.«
»Dann brechen wir jetzt auf.«
»Jetzt?«
»Wozu willst du dich verabschieden? Entweder du kehrst zurück oder nicht. Oder verlangt deine Eitelkeit einen tränenreichen Abschied?«
Arminius sah den Priester an. Es schnürte ihm die Kehle zu, sich bei Nacht und Dunkelheit davonzuschleichen. Aber der Priester hatte recht. »Ich hole mein Pferd.«
»Du brauchst es nicht. Wir gehen zu Fuß«, sagte Istvaez.
Arminius schaute ihm prüfend in die Augen. Sie waren alt, grau vom Leid, das sie gesehen hatten, und klein von der Mühsal des Lebens. Das letzte Stück Weg, das er jetzt zurückzulegen hatte, musste er zu Fuß gehen. Die Götter oder Nehalenia, das spürte er nun, hatten ihm diesen Priester gesandt.
Elda wartete vergebens. Als die beiden von dem Spaziergang nicht zurückkehrten, wollte sie sie schon suchen. Doch der Fischer hielt sie davon ab und meinte nur, dass es keinen Sinn habe, da sie schon aufgebrochen seien nach Nerthania. Einsilbig wünschte Elda den anderen eine gute Nacht und begab sich zu der Schlafstätte, die ihr der Fischer angeboten hatte.
Sie verübelte Arminius, dass er ohne Abschied gegangen war. Lange noch lag sie wach, geschüttelt von Sorge und Zorn, bis sie schließlich in einen schweren, alptraumgesättigten Schlaf fiel.
Am Morgen erwachte sie mit einem herzzerreißenden Schrei auf den Lippen, der auch sie selbst zutiefst erschreckte: »Arminius!«
27
Gleich zu Beginn ihrer Wanderung gebot der Priester Arminius zu schweigen. »Man nähert sich der Göttin nicht mit Geschwätz und Tändelei. Nutze den Weg, um dich zu prüfen. Du wirst alle Kraft brauchen.« Das waren die letzten Worte, die er von Istvaez hörte.
Zwei Tage benötigten die beiden zu Fuß. Arminius bewunderte das ungeheuere Blau des Meeres, eine tiefe, satte Farbe, ernster als das verspielte Azur des Mare Adriaticum, das er bei seinen Feldzügen in der Dalmatica gesehen hatte. Wasser und Wellen waren kräftig und rau, als sei das Ostmeer oder das Mare Suebicum, wie die Römer es nannten, die Wiege der Götter.
Bald darauf verschlang die beiden wieder ein dichter Wald, der zuweilen in eine sumpfige und morastige Senke führte, in der Gräser und Farne wucherten und umgestürzte Baumstämme im Einverständnis mit der Zeit still vermoderten. Arminius und Istvaez aßen nichts, tranken nur gelegentlich aus einer kleinen Quelle. Sie plagten sich mit Myriaden von Mücken, die sie bei lebendigem Leib auszusaugen schienen. Dann gab sie der Wald wieder frei, und sie standen unvermittelt vor einem Graben.
»Es ist soweit«, raunte Istvaez seinem Begleiter zu.
Die Sonne stand im Zenit, als sie das Hindernis über einen kleinen Holzsteg passierten. Dahinter erhob sich eine mächtige Palisadenwand. Arminius vernahm ein leises, aber stetes Trommeln. Der Priester lief rechts an den geschälten und geschwärzten Stämmen vorbei, deren Höhe zwei Manneslängen betrug und die so dicht beieinanderstanden, dass Arminius nicht einmal durch eine Ritze ins Innere zu spähen vermochte. Die Palisaden standen in einem Halbkreis, dem sie nun folgten. Das Trommeln nahm an Lautstärke zu. Arminius war es, als schlügen die Stöcke gegen die Innenwand seines
Weitere Kostenlose Bücher