Arminius
linke Hand, und alle konnten sehen, dass man dem Jungen sogar die Fingernägel herausgerissen hatte. Arminius wurde übel.
»Du falscher Hund!«, brüllte Segestes Heban an und wollte sich mit dem Schwert auf den Jungen stürzen, aber Arminius war schneller, schlug ihm die Waffe aus der Hand und richtete die Spitze seines Schwerts auf seinen Hals. »Der Junge gehört mir.« Keiner wagte, etwas zu sagen, denn die Augen des Arminius glühten vor Zorn. »Hilf deinem Sohn, Randulf!«
Der Semnone nahm Heban vorsichtig in die Arme und hob ihn auf.
Arminius spürte den Schmerz des alten Kriegers und zitierte, an Varus gewandt, die erste Zeile von Homers ›Ilias‹ auf Griechisch – die erste Zeile, die das ganze Verhängnis der Welt enthält und wie die Mutter aller Drohungen klingt: »Singe mir, oh Muse, die Wut des Pelleiden Achilleus.« Dann strich er Heban zärtlich über die Wange. »Wer hat dir das, angetan, mein Sohn?«
Heban zeigte auf Segestes’ Waffenmeister, der zwischen dem verräterischen Fürsten und Varus stand. Arminius nahm sein Schwert in beide Hände, stach den Waffenmeister durch die Kehle und drehte das Schwert herum, bevor er es wieder herauszog. Varus erstarrte vor Schreck, während Segestes einen Schritt zurücktrat. Dann fiel der Körper des Waffenmeisters wie eine gefällte Eiche zu Boden. Niemand im Zelt vermochte in diesem Moment zu reagieren. Der Schock hatte Wurzeln geschlagen.
»Du hast das Blut vergossen, Statthalter, weil du den Einflüsterungen eines Lügners mehr geglaubt hast als einem römischen Ritter«, sagte Arminius und wartete Varus’ Antwort nicht ab, sondern nutzte die Erstarrung der Anwesenden, um das Zelt zu verlassen. Nicht aus Jähzorn, sondern kalten Blutes hatte er die Maske der Wut des Achilles aufgesetzt, um Verwirrung zu stiften und so Zeit zu gewinnen, um sich in Sicherheit zu bringen, die er allein inmitten seiner Truppen fand. Jetzt war Improvisationskunst gefragt, noch war nichts verloren, aber alles stand auf Messers Schneide.
Arminius ritt mit Randulf, der seinen geschundenen Sohn vor sich auf dem Sattel hatte, zum Lager.
Randulf rang stumm mit sich, schließlich murmelte er, aber es war, als ob jedes Wort glühendes Eisen war, das man ihm zu schlucken gab und ihm die Kehle verbrannte: »Verräter verdienen nur zu sterben. Erlaube mir, dass ich meinem Sohn den Tod selbst gebe, einen leichten Tod, denn er hat genug gelitten.«
Davon wollte Arminius jedoch nichts hören. »Nein, er wird, er soll leben. Ihn trifft keine Schuld, Randulf. Er war noch zu jung dafür. Es ist allein meine Schuld, ich habe ihn zu früh einer zu großen Gefahr ausgesetzt. Er war noch nicht so weit. Du kannst stolz sein auf deinen Sohn, er hat sich in der höchsten Gefahr zu uns geschlagen und uns gerettet.«
Im Lager angekommen überwachte er persönlich, dass Hebans Wunden gewaschen und behandelt wurden. Dabei berichtete ihm der Bote trotz der Schmerzen, die der Junge litt, von seiner Frau und seiner Tochter. Dass beide sich wohlauf befanden, nahm zumindest einen Teil der Sorgen von seinen Schultern.
Ein Bote des Statthalters traf ein und wurde ins Zelt des Befehlshabers geführt. »Tribun, Quinctilius Varus bittet von Herzen, das Ungemach zu entschuldigen. Er hat den lügnerischen Germanen fesseln lassen und lädt dich zum Essen ein.«
Arminius, der gemeinsam mit dem Feldarzt Hebans Wunden versorgte, schaute nur kurz auf. »Richte Varus aus, dass ich die Wunden meines geschundenen Dieners verbinde.«
Der Bote stand hilflos da und starrte ihn an, denn er wusste nicht, wie er diese Antwort verstehen sollte. »Du schlägst die Einladung des Statthalters aus?«
»Nein, ich nehme sie an, wenn die Wunden meines Dieners verheilt sind, die Verleumdung und Verrat ihm geschlagen haben.«
Der Bote kratzte sich verwundert am Kopf und machte sich wieder auf den Weg zurück ins römische Lager.
Eine Stunde später erschien Velleius Paterculus. Arminius erhob sich und wusch sich die Hände, dann verließ er mit dem Freund das Zelt. Sie gingen in die Nacht hinaus. Kalt standen die Sterne am klaren, erbarmungslosen Himmel. Nun erwartete Arminius das Schwerste, er musste den Waffengefährten täuschen.
»Warum kommst du nicht einfach zum Essen – und wir vergessen die Sache?«, fragte der Legat.
Arminius packte Velleius bei den Schultern und schaute ihm fest in die Augen. »Hast du an meine Unschuld geglaubt?«
»Ich wusste doch gar nichts von einer Anschuldigung.«
»Und, bist du dir
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