Arminius
diesem Moment sprengte ein römischer Bote in gestrecktem Galopp ins Lager. Sein Rappe war fast weiß vor Schaum und Schweiß. Der Bote fiel mehr vom Pferd, als dass er abstieg, und taumelte erschöpft zum Feldherrn. »Imperator, Antonia schickt mich. Du sollst, so schnell es geht, nach Aliso kommen, wenn du deinen Bruder noch lebend antreffen willst.«
»Drusus?«, entfuhr es dem Feldherrn halb fragend, halb verwundert. Eilig gab er den Befehl zum Aufbruch. Die Reiter der Hundertschaft saßen auf. Der Centurio ergriff Ergimer brutal an Arm und Bein und riss ihn von Elda fort, die nun ihrerseits derb von ihrem Vater am Arm gepackt wurde. Sie trat nach ihm, biss und versuchte vergebens, sich zu befreien.
Der Legionär legte Ergimer erneut vor sich auf den Widerrist, während Segimer wie angewurzelt stehen blieb und keinen Finger rührte, um ihn zu befreien. Germir erging es ebenso. Kurz und barsch befahl Tiberius: »Galopp!« Und schon sprengten die Reiter davon.
Elda entwand sich ihrem Vater und rannte ihnen hinterher. Doch so flink sie auch war, so sehr sie auch ihre ganze Kraft einsetzte, sie vermochte sie nicht mehr einzuholen. Wieder war es, als flöge sie über den Boden, doch nicht schnell genug. Im Gegenteil, die Römer entfernten sich mit ihrer menschlichen Beute unaufhaltsam.
Keuchend blieb Elda stehen und brach in ein verzweifeltes Schluchzen aus. Immer wieder rief sie Ergimers Namen. Diese lang gezogenen und durch die wachsende Entfernung immer leiser werdenden Rufe waren das Letzte, was der Junge von dem Mädchen hörte, mit dem er noch vor wenigen Stunden am Bach in der Senke gespielt hatte. Auf seiner Brust brannte Eldas Amulett.
6
Die Nacht lag schon über der Landschaft und hatte die Umrisse der Berge und Bäume verwischt, als Julius endlich im Talkessel die Mauern der mächtigen Bollwerke des Militärlagers von Aliso ausmachte. Im Mondlicht erreichte der Zug bald darauf die zum Lager gehörende Siedlung, in der die Handwerker, Händler, Huren und Schankwirte wohnten – Germanen, Kelten und Römer, die davon lebten, für das Militär zu arbeiten.
Die Bewohner hatten ihre Häuser verlassen und standen an der Straße, um den anmarschierenden Legionen einen Empfang zu bereiten. Sie bildeten kein Spalier, sondern kleine Gruppen, die miteinander das Gesehene besprachen, allerhand Schabernack trieben oder mit mehr oder weniger ausgeklügelten Vorstellungen für ihre Dienstleistungen warben. Glaubten sie, den berühmten Feldherrn Nero Claudius Drusus bestaunen zu können, oder hatten sie bereits davon erfahren, dass er, von heftigen Fieberwellen geschüttelt, halb bewusstlos im Reisewagen lag? Gerüchte sind im Allgemeinen schneller als Menschen. Oder galt ihr Interesse einzig und allein den vielen möglichen Kunden?
Julius, der aus dem Wagen lugte, fühlte sich abgestoßen von der lauernden Erwartung, die er in den neugierigen Blicken der Menschen gewahrte. So jung er war, so deutlich spürte er dennoch die Falschheit der zur Schau getragenen Herzlichkeit. Wahrscheinlich aber war alles viel einfacher, und die Menschen am Straßenrand hofften nur, dass die Soldaten fette Beute vom Kriegszug mitbrachten, die sie ihnen mit vielerlei Tricks abzujagen gedachten.
Verwundert entdeckte der Knabe unter den Schaulustigen auffallend viele Frauen jeglichen Alters mit zum Teil durchsichtigen Obergewändern. Sie fuhren mit den Spitzen ihrer dunkelroten Zunge über Ober-und Unterlippe, schnalzten oder luden die Soldaten zu sich ein. Sie wetteiferten regelrecht darin, den Soldaten ›frischen Stendelwurz und beglückende Ausflüge in die Gärten der Photis‹, wie auf einem Schild stand, zu verheißen.
»Mutter, was sind die Gärten der Photis?«, fragte Julius in den Reisewagen hinein.
»Das sind Feuchtgebiete, in denen man sich nur die Fäulnis holt«, antwortete Antonia kurz angebunden. Das verstand der Junge nicht. Warum sollten die Soldaten dorthin gehen, wo sie krank wurden? Er beschloss, Salvianus später danach zu fragen. Von der Mutter würde er nichts mehr über die rätselhafte Angelegenheit erfahren.
Julius entdeckte nun in dem Gewühl vier stämmige Männer, die mithilfe eines Gestells ein großes Fass auf ihren Schultern trugen. Darauf thronte ein ungeheuer fetter Kerl mit flinken Schweinsäuglein, der auf dem Fass zu reiten schien. Bocksgesichtig brüllte er mehr, als dass er sang:
»Seht König Bacchus und kniet nieder,
mein Rebensaft stärkt müde Glieder,
wärmt das Herz, gibt
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