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Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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sie nicht versetzt wurden oder zu Tode kamen – ihre ganze Dienstzeit miteinander. Diese Zimmergemeinschaften bildeten, wie Julius sehr früh gelernt hatte, die kleinste Einheit der centuria, der Hundertschaft, und schufen damit den Rückhalt der Armee, das gegenseitige Vertrauensverhältnis, die Kameradschaft und die Zuneigung, die in den Kämpfen so überlebenswichtig war. Nur wer sich auf seine nächsten Kameraden verlassen konnte, hatte eine Chance, aus der Schlacht lebend herauszukommen. Diese Grundwahrheit hatte Drusus seinem Sohn eingehämmert: Das contubernium, die Zimmergemeinschaft, hatte Rom groß gemacht. Wenn der Legionär nicht mehr für seinen Kameraden einstünde, würde das Imperium zerfallen.
    Der Lagerpräfekt geleitete den auf der Trage liegenden Feldherrn und seine Familie persönlich in die eigens für Imperatoren hergerichtete Wohnung in einem prunkvollen Haus. Auf dem Weg in die Unterkunft wurde Julius von einer bleiernen Müdigkeit überfallen. Nach den Anstrengungen des Marsches und den Aufregungen der letzten Tage sehnte er sich nur noch nach einem Bett. So trottete er mehr, als dass er ging, und hatte keine Augen mehr für das Lager.
    Sie überquerten einen rechteckigen Hof, der von Säulengängen umgeben war, und betraten den linken Gebäudeflügel. In der marmorverkleideten Eingangshalle, einem Atrium, stand eine Büste des Kaisers Augustus. Sie bogen in den linken Flur und begaben sich gleich darauf in ein Zimmer mit einem großen Bett in der Mitte, von dem eine Tür in einen großzügigen Nebenraum führte. Behutsam legten die Träger den fiebernden Drusus auf das Eichenbett. Seine Wangen glühten. Der Lagerarzt begann mit der Untersuchung und hielt dabei mit dem Feldarzt ein kleines Consilium ab. Währenddessen zeigte der Lagerpräfekt Julius, Antonia und der Sklavin den angrenzenden Raum, in dem neben einem Tisch aus vergoldetem Kastanienholz, dessen Platte mit Intarsien aus Tiermotiven verziert war, zwei Betten standen. Kaum hatte sich Julius auf eine der beiden Schlafstätten sinken lassen, war er auch schon vor Erschöpfung eingeschlafen.
    Er konnte nicht sagen, wie lange er dagelegen hatte, denn tief in Morpheus’ Reich drang ein Furcht einflößender Ton aus der Wirklichkeit. Vergebens mühte sich sein Unterbewusstsein, die grässlichen Laute in seinen Traum hineinzuweben. Von seinem eigenen Aufschrei schließlich geweckt, riss Julius die Augen auf und brach in ein hemmungsloses Weinen aus. Die chaldäische Sklavin, die bei ihm saß, schloss ihn rasch in die Arme.
    »Tschu, tschu, ist ja gut, mein Prinz, ist schon gut.« Noch während die Sklavin sich mühte, den Jungen mit ihrem gutturalen Sprechgesang zu beruhigen, hörte er erneut den furchtbaren Lärm.
    »Was ist das?«
    »Die Wölfe.«
    »Die Wölfe?«
    »Ja, sie schleichen schon seit Stunden um das Lager und heulen, um den Tod hierher zu locken. Ein Soldat hat mir vorhin erzählt, dass junge Männer durch die Lüfte geritten seien und furchtbare Drohungen ausgestoßen hätten.«
    »Junge Männer? Durch die Luft?«
    »Ja, über das Lager hinweg. Das wilde Heer. Germanische Jungmannschaften, die sich im Krieg noch nicht bewährt haben und deren Totengeister nun toben.«
    »Was bedeutet das?«, fragte der Junge mit weit aufgerissenen Augen. Statt einer Antwort nahm die Sklavin ihn tröstend in die Arme und suchte nach Worten, während sie immer wieder »Ach, ach« murmelte. Antonia erlöste die Chaldäerin schließlich von dem Zwang, dem Kind zu erklären, dass sein Vater im Sterben lag. Sie betrat das Zimmer und streckte die Hand nach ihrem Sohn aus: »Komm, es ist Zeit, sich von deinem Vater zu verabschieden.«
    »Nein«, schrie Julius. Und es war nicht zu entscheiden, ob er nur nicht ans Todeslager des Vaters treten wollte oder ob er sich weigerte, für immer Abschied von ihm zu nehmen.
    »Haltung, Julius! Du bist ein Römer! Komm jetzt!«, fuhr ihn die Mutter an. Er musterte sie, entdeckte aber in ihrem blassen Gesicht keine Gefühlsregung. Mit gestrafften Schultern stand sie vor ihm, die schönen braunen Augen wirkten großer als sonst und leer. Alles an ihr verkündete ›Haltung‹. Sie zog den widerwilligen Knaben an der Hand in das Sterbezimmer und schließlich an das Bett des Vaters.
    Der Wundbrand hatte Drusus’ Lebenskraft völlig aufgezehrt. Das Haar des siechen Schlachtenlenkers klebte in Strähnen an der Stirn, aber seine Augen blickten ruhig, wenn auch erschöpft auf seinen Sohn. Stirn und Wangen glühten.

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