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Arminius

Arminius

Titel: Arminius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fleming
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Schleier der Feuchtigkeit überhaupt von ihm zu sehen bekam. »Was meinst du, Arminius, ist es besser zu ankern?«
    Arminius runzelte missbilligend die Stirn. Woher sollte er das wissen? Nur weil er als Cherusker geboren wurde, hieß das doch nicht, dass er die ganze Germania kannte. Langsam wandte sich der junge Mann um. Kleine Bäche rannen ihm über Stirn, Nase und Wangen.
    »Warum sollten wir?«, fragte er.
    »Weil ich nicht will, dass wir auf eine Sandbank oder einen Felsen fahren. Man kann ja kaum über den Bug hinaussehen.«
    Arminius unterdrückte ein verächtliches Lächeln, denn er kannte den Grund für Varus’ Angst nur zu gut. Das ganze Schiff ächzte unter der Last der vielen Möbel, des mannigfaltigen Geschirrs, der Berge von Kleidung und den eher teuren als geschmackvollen Kunstgegenständen. In Rom hatte er anfangs gestaunt über die gewaltigen Besitztümer, die der Statthalter mit sich führte.
    Varus, dem das verwunderte Gesicht seines Reisegefährten damals nicht entgangen war, hatte ihm kurzerhand erklärt: »Nimm es mir nicht übel, aber wir kommen ja in die barbarische Einöde. Da will ich wenigstens das Allernotwendigste, das man zu einem menschenwürdigen Leben benötigt, um mich haben.«
    Was die gefährliche Flussfahrt betraf, hatte der Römer allerdings recht, denn man konnte wirklich nicht die Hand vor Augen sehen. Arminius würde es keinesfalls gelingen, das Schiff an den Gefahrenstellen des Flusses vorbeizulotsen, weil er sich nicht an sie erinnerte. Er hatte den Rhenus nur ein einziges Mal befahren, und das lag sehr lange zurück, mehr als sein halbes Leben lang. Wieder spürte er den Schmerz, den peinigenden Verlust und das ohnmächtige Gefühl des Verrats, das in ihm gewütet hatte, als sie damals vom Ufer abgelegt hatten und den Fluss in umgekehrter Richtung stromaufwärts geschifft waren. Damals war es für ihn ein Aufbruch ins Unbekannte gewesen. Und nun? Würde er denn jetzt ins Bekannte zurückkehren?
    Seit Augustus ihn in Rom ausgezeichnet und zum Kommandeur der germanischen Hilfstruppen der Rhenus-Armee ernannt hatte, wurde er zwischen widerstreitenden Gefühlen hin und her gerissen. Ins Illyricum sollte er nicht mehr zurückkehren. Der Krieg dort zog sich zwar noch hin, aber an seinem Ausgang bestand kein Zweifel. Im Grunde kämpften die Aufständischen ohne Hoffnung auf den Sieg inzwischen nur noch aus Verzweiflung gegen die von Tiberius und Germanicus befehligten Legionen – sie hatten lediglich die Wahl zwischen Tod und Sklaverei. Manchem erschien es daher besser, durch das Schwert zu fallen, als ohnmächtig das Elend seiner Familie mit ansehen zu müssen. Die Geschichte empfindet kein Mitleid mit den Verlierern, weil sie von den Siegern geschrieben wird. Doch ihre erbitterte Feindin, die Dichtkunst, hält die Erinnerung an die Besiegten wach, an die Unglücklichen, an die vom Schicksal Geschlagenen, weil sie sich nicht wie die Historie an den bestechlichen Verstand, sondern an das Herz des Menschen wendet.
    Arminius fand keine Ruhe mehr. Jede Ader in seinem Körper und jede Faser seines Gehirns war in Aufruhr. Von dem Tag an, als man ihn gewaltsam nach Rom gebracht hatte, kannten seine Träume nur den einen Inhalt und die eine brennende Sehnsucht – die Heimkehr. In all den tausend Schlafgespinsten hatte er sich gesehen, wie er auf den Hof seiner Sippe ritt, wie ihm alle entgegen kamen, wie er lachend vom Pferd sprang und seine Mutter, in deren Augen Freudentränen standen, in die Arme schloss. Noch in der Umarmung hielt er dann vergeblich Ausschau nach dem Vater. Und immer, wenn er diese Stelle im Traum erreicht hatte und die Mutter fragte: »Wo ist Vater?«, wachte er auf oder wurde geweckt. Nie, niemals in all den Jahren hatte er eine Antwort auf seine Frage bekommen. Nicht einmal sah er Segimer in einem seiner Träume, das heißt, einmal schon, aber nur von hinten, und es blieb fraglich, ob die dunkle Gestalt überhaupt sein Vater war.
    So sehr sich Arminius freute, endlich nach Hause zurückzukehren und seine Mutter und auch Elda wiederzusehen, so sehr fürchtete er sich davor. Was mochte sich in der langen Zeit nicht alles verändert haben! Auch er selbst hatte sich mit den Jahren mehr und mehr von dem Kind entfernt, das einst davon geträumt hatte, Römer zu töten. War er nicht inzwischen selbst einer geworden, Bürger und sogar Ritter des Imperium Romanum? Und schließlich gab es da noch seinen Vater, der ihn und seinen Bruder einfach den Römern überlassen

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