Arminius
allerdings Plautius einen Vorwurf machen – Bato hatte es ausgezeichnet verstanden, seine Leute unbemerkt in ihre Stellungen zu führen. Den römischen Spähern, die den Zug zu beiden Seiten sowie an der Spitze und am Ende absicherten, war nichts Verdächtiges aufgefallen.
Arminius war bereits wieder auf dem Rückweg, als vor ihm ein Stau entstand und die Truppen zurückzuweichen schienen. Er befahl dem erstbesten Centurio, den er sah, den Rückweg abzuriegeln und mit aufgestellten Speeren keinen Legionär durchzulassen. Dann sprengte er auf seinem Pferd nach vorn, um herauszufinden, was die Panik verursacht hatte. Plötzlich riss ihn sein stürzendes Pferd zu Boden. Er überschlug sich mehrmals, bevor er sich mit den Armen abfangen konnte, schüttelte den Kopf, um das Gleichgewicht wiederzufinden, und stand noch etwas benommen auf. Was er sah, waren Legionäre, kriegsgewohnte und kampferfahrene Männer, die ihm mit Gesichtern, auf denen das Entsetzen geschrieben stand, entgegengerannt kamen. Manche hatten sogar Schild und Schwert weggeworfen, um schneller zu sein.
Aber das Heer durfte sich nicht teilen, sonst würde Bato es in immer kleinere Verbände aufsplittern und sie alle vernichten. Sah so das Ende aus? Wie gelähmt stand Arminius im Strom der zurückflutenden Legionäre. Jemand griff ihn am Arm und wollte ihn mitziehen.
»Komm, wir müssen weg. Sie schlachten da vorn alle ab!«
Arminius blickte in das schwarze Gesicht eines Mannes, der seinen Helm verloren hatte und dessen krauses Haar in der Sonne schimmerte wie lackiertes Ebenholz. Er trug einen Adler, den Stolz und das Heiligtum einer jeden Legion.
Nichts Ehrloseres konnte einer Legion widerfahren, als dass ihr Adler in die Hände des Feindes fiel. Nicht nur der Anführer, jede einzelne Angehörigkeit der Legion verlor mit dem Adler sein persönliches Ansehen und seine Ehre. Eine Legion ohne Adler wurde aufgelöst, ihre Angehörigen strafversetzt, versklavt oder hingerichtet.
Die Furcht ließ das Weiße in den Augen des Legionärs, in denen die tiefschwarze Pupille erstarrt schien, irrwitzig groß erscheinen. Plötzlich füllte sich sein rechtes Auge mit Blut. Von einem Pfeil in den Hinterkopf getroffen brach er zusammen. Der Tod ereilte ihn kniend, den Adler hielt er mit der Rechten fest umklammert.
Arminius wunderte sich noch, dass der Tote nicht zu Boden fiel, sondern auf Knien, sich am Adler haltend, wie zu einer Statue erstarrt war. Ein Nubier, dachte er. Wie viele Tagesreisen war er von seiner Heimat entfernt, wie weit war er von zu Hause, von Eltern, Freunden, vielleicht sogar von der Frau, die er liebte, womöglich den Kindern wegmarschiert, um unter dem blauen Himmel der Dalmatica, in einem fremden Land zu sterben, das er nicht kannte, und das er auch lebend kaum kennengelernt hätte, das ihn nichts anging und dem er nichts anging.
Der Nubier war nicht der erste Mann, den er sterben sah – manche hatte er selbst getötet –, aber der Tod dieses einfachen Mannes erschütterte ihn. Arminius hatte auf einmal das Gefühl, mit diesem Mann allein auf dem Schlachtfeld zu sein, alles andere versank hinter einem dichten Nebel. Als er über sich einen kühlenden Schatten spürte, blickte er auf und sah eine lebendige Wolke aus Raben und Geiern. Aasfresser, dachte Arminius. Aber waren die Römer denn etwas anderes? Nährten sie sich denn nicht auch vom Tod der anderen?
Er nahm dem Nubier den Legionsadler aus der Hand, bettete seinen Leichnam auf den Grasboden, drückte ihm die Augen zu und flüsterte zärtlich, wie liebende Mütter Trost spenden: »Du hast alles gut gemacht, Legionär. Jetzt schlaf in Frieden! Ich gebe auf deinen Adler acht!«
Als er aufstand, drückte sein Gesicht keine Trauer aus, es war völlig reglos, wirkte fast entspannt. Er nahm den Adler in beide Hände und hielt ihn quer vor sich, um die Flüchtenden aufzuhalten. Die Ersten stockten tatsächlich und blieben stehen, die Nachdrängenden riefen und schrien.
»Hinter dem Adler wartet nur der Tod auf euch. Kehrt um, und verdient euch mit dem Schwert das Leben!«, brüllte Arminius.
Zweifelnd, nachdenklich, ratlos schauten ihn die Legionäre an. Wie würden sie entscheiden? Mehr Worte zu machen, würde nichts nutzen. Es war alles gesagt.
Ein Mann mit dem Gesicht eines Spitzbuben, einer von jenen, die in kritischen Situationen stets Panik und Aufruhr säen, dröhnte: »Was will denn der? Dass wir uns abschlachten lassen?«
Mit diesen Worten ging er mit dem Schwert auf
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