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Arno-Linder 1: Papierkrieg

Arno-Linder 1: Papierkrieg

Titel: Arno-Linder 1: Papierkrieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mucha
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Ich hatte mir eintausend Ausreden zurechtgelegt, um gut bluffen zu können, aber alles war so leicht gelaufen wie mit zerlassener Opferbutter geschmiert. So ein Telefonat ins Blinde hinein kann auch ordentlich schief gehen. Aber heute war ein guter Tag, ich hatte Glück gehabt.
    Ich räumte auf, packte zusammen und sperrte die Bürotüre von außen ab. Ich verabschiedete mich noch nett von der undankbaren Sekretärin und war schon draußen vor der Uni. Am Schottentor stieg ich in den 43er und fuhr Richtung Gürtel hinaus zur U6-Station Alserstraße. Von dort ging’s mit der U-Bahn weiter bis zum Urban-Loritz-Platz, wo die öffentliche Bibliothek mit der Freitreppe eines Mayatempels über der U-Bahn-Station thront. Ich stieg aus und überquerte die Straße. Wie immer ließ ich es mir nicht nehmen, durch die Lugner City zu gehen. Dort regiert das pralle, ungeschminkte Leben. Zwischen dem Frittierduft des Schnitzelhauses und dem Fischodeur des Running Sushi treibt sich eine bunte Masse an Shoppern herum. Ramschläden, Spielsalons, Lokale und Elektronik. Die Einkäufer geben Bilder liebenswürdiger Geschmacklosigkeit ab, die zumindest einen gewissen Anspruch auf Eigenständigkeit erheben können. All das strahlt eine Lebendigkeit aus, die alles ist, nur nicht angekränkelt von des Gedanken Blässe. Babylonisches Sprachgewirr liegt in der Luft. Ich inhalierte die Atmosphäre und bedauerte es, als ich auf der anderen Seite wieder draußen war. Am Vogelweidplatz überquerte ich die Gablitzgasse und ließ die Lugner City hinter mir.
    Schließlich stand ich vor der Herbststraße, Nummer 20, im 15ten. Es war ein ansehnliches Gebäude mit der klassischen Gründerzeitfassade, graugrün gestrichen, die Farbe blätterte ein bisschen ab. Gegenüber war eine kleine Grünfläche mit einem Käfig zu erkennen, in dem herzhaft Fußball gespielt wurde. Die Klingelanlage von Mihailovics Haus war offenbar defekt, aber die Tür stand offen und so ging ich hinein. Im Halbdunkel wäre ich fast in die herumstehenden Mülleimer gestolpert, konnte mich aber gerade noch retten, indem ich einen Ausfallschritt zur Seite machte. Dabei stieg ich einer Katze auf den Schwanz, die fauchend davonraste. Ich holte tief Luft. Mit der Zeit gewöhnten sich meine Augen an das Dunkel. Vor mir ging es hinaus auf den Hof, die Milchglasscheiben der Tür waren grau wie Schiefer und ebenso undurchsichtig. Aber durch einen kleinen Spalt, durch den auch die Katze verschwunden war, drang Licht herein. Daneben ging links, eine Stufe höher, der Gang weiter und rechts die Treppe in den ersten Stock hinauf.
    Nummer 6. Wahrscheinlich im Erdgeschoss, also beschloss ich, dem Gang zu folgen. Tatsächlich kam ich vor Nummer 6 zu stehen. Vor der Tür standen gezählte 25 Paar Schuhe, von Frauen und Kindern. Die Tür hatte keine Klingel, so klopfte ich. Sofort wurde geöffnet und eine alte Frau, gebeugt und bis auf die Augen in schwarze Tücher gehüllt, sah mich an. Hinter ihr drang der Geräuschpegel einer fröhlichen Großfamilie durch die Tür nach draußen. Sie fragte mich etwas in einer Sprache, von der ich annahm, dass es Türkisch wäre. Ich zuckte mit den Achseln, worauf die Alte nach hinten rief und zwei Frauen in der Tür erschienen. Beide mit Kopftuch, die eine vielleicht 40 und korpulent, die andere um die 30 und deutlich schlanker. Wieder wurde mir eine Frage gestellt, die ich nicht zu beantworten vermochte. Worauf die drei wieder hinter sich in die Wohnung riefen und eine ganze Horde Kinder an der Tür erschien. Jeder Quadratzentimeter war ausgefüllt mit Kindergesichtern, in denen die dunklen Augen neugierig strahlten. Alle Altersgruppen von 3 bis 15 waren vertreten. Ein kleines Mädchen wollte, den Finger im Mund, aus der Tür treten, aber die Großmutter zog sie blitzschnell zurück und schimpfte. Alle redeten gleichzeitig. Und laut. Plötzlich wusste ich, wie sich die Tiere im Zoo so fühlen. Um ein Haar wäre ich einfach davongerannt. Dann aber erbarmte sich ein etwa fünfjähriger Bub.
    »Was wollen Sie denn?«
    »Ich suche Mihailovic, Tür Nummer 6.«
    Der Kleine übersetzte und alles machte »Ahhhh«. Ein neuerlicher Sprachtumult ging los, jeder gab offenbar seine Meinung ab. Die Oma setzte sich durch. Sie sagte dem Kleinen was. Er übersetzte.
    »Mihailovics wohnen auf der zweiten Stiege.« Beim Wort ›zweiten‹ wurden mir von mindestens zehn Händen zwei Finger entgegengereckt, und nachdem ihm Oma weiter eingeflüstert hatte, sprach er bedächtig,

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