Arno-Linder 1: Papierkrieg
gespielt, Ray Manzarek malte ein paar Organ-Obertöne dazu und Jim stieg ein: ›Wild child, full of grace, savior of the human race …‹. Nach dem zweiten Vers variierte die Brigde, Organ und Gitarre jaulten orgiastisch, und Jim sang sich mit den Worten ›staring into a hollow idol’s eyes‹ in eines der eindrucksvollsten Breaks der Musikgeschichte hinein. Egal, ob der Song nun von einer Stripperin, dem Mescalinkaktus oder einem dionysischen Mysterium kündete, ich beschloss, Aronofsky anzurufen.
Nachdem das Telefon eine Weile lang geläutet hatte, meldete sich eine verschlafene Stimme. »Raymond Aronofsky. Wer stört?«
»Guten Tag.«
»An diesem verschissenen Tag ist gar nichts gut.«
»Okay, sind Sie heute in Ihrem Büro?«
»Ich bin immer in dem Rattenloch, schließlich wohne ich da auch.«
»Kann ich in einer halben Stunde bei Ihnen sein?«
»Ob Sie können, weiß ich nicht, ich bin da.«
Er hatte aufgelegt. Sympathischer Kerl. Ich zahlte und ging.
VIII
Aronofskys Büro war im dritten Bezirk, in der Geologengasse. Das ist in unmittelbarer Nähe des Hauses, das Ludwig Wittgenstein für seine Schwester geplant und entworfen hat. Heute ist irgendeine Botschaft darin untergebracht. Ich glaube, die Bulgarische.
Zurück zu Aronofsky. Ich fand das Haus offen und die Tür zu seinem Büro angelehnt, klopfte und trat ein. Aronofsky saß über eine Patience gebeugt im Dunkeln. Die Jalousien waren heruntergelassen und Licht hatte er keines angemacht. Außerdem schien es in der Wohnung noch kälter zu sein als draußen, wenn das möglich war. In der Luft lag eine Ahnung von Schnee und ein leichtes Whiskyaroma. Außerdem hatte vermutlich jemand vor ein paar Tagen eine gute Zigarre geraucht. Insgesamt wirkte alles schäbig und abgewohnt. Wie bei mir zu Hause.
Als Aronofsky bemerkte, dass ich eingetreten war, hob er seinen Kopf und sah mich mürrisch an. Er wies auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und wendete sich wieder seinem Kartenspiel zu. Mich würdigte er keines Blickes mehr.
Nachdem ich ihn ungefähr eine Viertelstunde beobachtet hatte, er legte eine Variante, die ich nicht kannte, wurde er endlich mit seiner Patience fertig. Mir schien, er hatte ein wenig geschummelt. Er verstaute die Karten, ein schönes Blatt, in einer Box, und verräumte diese in einer Schublade. Dann bequemte er sich, sich mit mir zu beschäftigen.
»Wie kommen Sie zu meiner Nummer?« Aronofsky sprach mit leichtem Akzent, aber so sehr ich mich auch anstrengte, ich kam nicht dahinter, wo seine sprachliche Heimat lag. Außerdem hatte er die Manie, die Worte eines Satzes ineinanderfließen zu lassen, sodass seine Aussagen wie monolithische Blöcke wirkten. Allerdings nur in den Sätzen, die aus mehr als einem Wort bestanden, was nicht viele waren. Aronofsky sprach nach dem Motto ›Kein Wort zu viel‹. Cäsar hätte an dem Knaben seine liebe Freude gehabt.
Da er dabei auch je nach Gelegenheit Buchstaben verschluckte und Bindevokale hinzufügte, war er sprachlich gesehen eine absolute Ausnahmeerscheinung.
»Eine ehemalige Klientin von mir hat Sie empfohlen.«
»Wer?«
»Laura Lignamente.«
»Sagtmirnichts, derName. Wie siehtsieaus?«
»Dunkelhaarig, mitternachtsblaue Augen …«
»… Gazellenbeine und Apfelbrüste?«, unterbrach er mich.
»Genau.«
»Kennichnichdie Dame«, schnurrte er und griff nach der Schublade mit seinen Karten.
Auf dem Schreibtisch standen eine Teekanne und eine Schale neben losen Blättern, Notizbüchern und dem Krimskrams der letzten Jahre.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir eine Tasse anzubieten? Es ist kalt hier drin und irgendwie ungemütlich.«
»Geht nicht.«
»Wieso?«
»Weil das nur ’ne Attrappe is. Haben mir Gas und Strom abgestellt.«
»Dann hätten Sie vielleicht die Freundlichkeit, mir eine Schale zu leihen, Tee hätt ich selber.«
Seine Augen blitzten auf. »Wassfüreinen?«
»Grün, japanisch, Sencha.«
»TeeGschwendtner?«
Ich nickte.
»Augenblick.« Er stand auf, verschwand in der Tür und kam mit zwei weißen Schalen zurück. Meine war mit einem Zweig geschmückt, seine mit einem Zweig und einem Vogel. Als Nicht-Ornithologe würde ich nicht meine Seele verwetten, aber der Piepmatz auf seiner Schale sah aus wie ein Rotkehlchen.
Ich kramte die Thermoskanne aus meiner Tasche, schraubte auf und goss den noch dampfenden Tee ein. Schweigend griffen wir nach unseren Schalen und hoben sie zur Nase, sogen den leichten Duft ein und nippten genießerisch. Wir seufzten
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