Arno-Linder 1: Papierkrieg
größer. Ich denke, zu groß für dich. Vor allem jetzt, da ich den anderen Partner von Slupetzky getroffen habe. Slupetzky war zeitlebens ein komischer Kauz, aber dass er sich als Pole ausgerechnet russische Partner geholt hat, ist mir immer noch ein wenig unbegreiflich.«
Ich nickte. »Er hätte wissen müssen, wen er sich da ins Boot geholt hat.«
»Genau. Die Russen sind sauer, nicht nur, dass ihnen jetzt das Flughafengeschäft stillsteht. Nein, Slupetzky hat sie, scheint’s, auch noch beklaut.«
»Davon weiß ich nichts. Hat er etwas von dem Geld in die eigene Tasche gesteckt?«
»Nein, was anderes. Ich hab nicht rausbekommen was, aber vielleicht kannst du mir das verraten.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du ein heller Kopf bist. Also sag mir, was du weißt, und vielleicht können wir beide ins Geschäft kommen.«
»So wie du und Slupetzky damals?«
»Ich hab den Polen nicht erschossen.«
»Ich weiß. Das tust du nie.«
»Fred auch nicht.«
»Ich weiß. Aber es gibt genug Idioten, denen gegenüber man ein paar Halbsätze fallen lässt und die dann gierig werden, die Nerven verlieren und zuschlagen.«
»Dafür kann mich niemand verantwortlich machen.«
»Siehst du, das ist der Unterschied zwischen Moralität und Legalität. Verurteilen kann dich deswegen kein Gericht der Welt. Aber Schuld hast du trotzdem.«
»Nachdem es keinen Gott gibt, ist mir das gleichgültig. Schluss mit der Spintisiererei. Also was ist mit meinem Vorschlag?«
»Da ich nichts weiß, kann ich dir auch nichts sagen.«
»Geradeheraus gesprochen: Ich glaub’s dir nicht.«
»Was du glaubst, geht mich eigentlich auch nichts an. Seit der französischen Revolution hat sich bei uns die Einsicht durchgesetzt, dass Glauben Privatsache ist.«
»Das ist nun mir egal. Wenn ich glaube, dass du was weißt, dann kann das für dich ungemütlich werden.«
»Das werden wir sehen.«
»Ich mag dich, Kleiner, hab dich immer gemocht und das soll auch so bleiben. Also versemmel es nicht. Ich geb dir bis morgen Zeit, um dich zu entscheiden, der alten Zeiten wegen. Du hast die Wahl.«
Ich trank aus, erhob mich und machte mich auf den Weg zur Tür.
»Ach ja, Fred war mächtig stolz auf dich, wie du den Russen zugerichtet hast. Er sagt, wenn er dich früher kennengelernt hätte, hätte er einen Boxer aus dir gemacht, nicht so einen Bücherwurm.« Ich drehte mich nicht um, sondern wartete mit dem Knauf in der Hand, bis Bender fertig war. Dann drehte ich ihn, die Tür öffnete sich mit einem kleinen Klicken, und ich stand im Licht, geblendet.
II
Nachdem mich Fred schweigend nach Hause gefahren hatte und ich vor meiner Wohnung ausgestiegen war, atmete ich durch. Galgenfrist bis morgen. Hatte ich nun einen Tag gewonnen oder ein ganzes Leben verloren?
Als ich endlich in meiner Wohnung stand, legte ich meine durchnässten Sachen ab und stellte mich unter die kochend heiße Dusche. Nach einer Ewigkeit wagte ich mich wieder heraus, zog mir warme Sachen an und kuschelte mich in meine Decken. Eigentlich wollte ich noch Mihailovic wegen des Verkaufstermins morgen informieren, aber der Schlaf kam schnell und zärtlich.
Am nächsten Morgen wachte ich mit dem leichten Kopfweh auf, das immer kommt, wenn ich zu lange und zu tief geschlafen habe. Es dauerte ein Weilchen, bis ich imstande war, mich aus dem Bett zu wälzen. Ich setzte Teewasser auf und stellte mich vor den kleinen Spiegel im Badezimmer. Diese Bezeichnung ist ein Euphemismus, eigentlich handelt es sich nur um eine mit einem Vorhang abgetrennte Ecke meiner Küche. Ich war noch ein wenig steif im Nacken von der russischen Massage, aber ansonsten großartig in Form. Nachdem ich meine Morgentoilette beendet und mir die Stoppeln von der Wange gekratzt hatte, war es Zeit zu frühstücken. Da ich nichts Essbares im Haus hatte, mussten viel Tee und gute Musik ausreichen. Lester Young, Nat King Cole und Buddie Rich spielten auf. Ich genoss meinen Tee und ließ mich in den zarten Solos von Young treiben, die auf wunderbar okkulte Art und Weise mit der Begleitung von Cole verflochten sind. Vor allem die zweite Version von ›I cover the waterfront‹ mit ihren kindlich einfachen Rufmotiven ließ mich wie immer erschauern. Lester bringt es zustande, sein Sax wie eine dunkle weibliche Stimme klingen zu lassen, wie eine Mutter, die ihr Kind ruft. Als ich die Scheibe zum zweiten Mal durchgehört hatte, war auch der Tee ausgetrunken und ich begann, mich anzuziehen. Viel gab mein Kleiderschrank nicht mehr
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