Arschloch!
Arbeiterssammaridabund. Sin se über 67zich Jahre aalt?“, grölte ich.
„Nein!“
„Is jemand auss Ihrem Umfeld auf Pfleje angewiiesenn?“
Aber die Antwort blieb sie mir schuldig.
07.09.2005
Während Anne, die nur kurz vorbeischaut, um einen weiteren Krankenschein abzugeben, kurz auf Toilette verschwindet, husche ich an ihren Arbeitsplatz und formatiere von allen unbemerkt die gesamte Festplatte. Danach ist die Aufregung groß, aber aus sicherer Distanz genieße ich das Chaos, das Anne wohl in einem unbedachten Moment angerichtet hat.
Als es wieder ruhiger ist, checke ich in aller Ruhe den neuen Arbeitsplan, in dem ich mich persönlich in die Spätschicht eingeteilt habe. Diese Schicht besitzt zwar einen Nachteil – ich kann Kopernikus nicht anschauen – aber sie besitzt auch den Vorteil, dass ich abends lange wach bleiben und Anne am frühen Morgen telefonisch belästigen kann, ohne meinen Tagesablauf umzustellen, was echt praktisch ist.
10.09.2005
„Ich weiß ja, dass du kein Fan von Büchern bist und dir lieber irgendwelche Filme reinziehst, aber ich muss die ganze Zeit über ein Buch nachdenken, dass ich gelesen habe“, sagt Michael, den ich beim Bummeln in der Stadt treffe und der mich auf meinem Weg begleitet, weil er selbst ein wenig ziellos ist.
„Und was hast du gelesen?“
„Verbrechen und Strafe von Dostojewski. Im Original heißt das Buch Schuld und Sühne.“
„Oh mein Gott, was ist denn das für ein Müll?“
„Davon gibt es übrigens auch einen Film. Den solltest du dir mal reinziehen. Ist aber Schwarz-Weiß.“
„Aha. Und worüber musst du die ganze Zeit nachdenken?“
„Über den Protagonisten. Rodion Romanowitsch Raskolnikow!“
„Was ist das für ein Name?“
„Ist doch egal. Ist nur ein Name.“
„Und was macht dieser Typ? Das wird ja jetzt nicht so aufregend sein, oder?“
„Und ob, aber für so etwas hast du kein Gespür! Aber ist auch egal. Ich erzähle es dir einfach!“
„Okay!“, sage ich gelangweilt und blicke einer Frau hinterher, die irgendetwas von Kate Hudson hat, und auf der gegenüberliegenden Straßenseite entlang geht. Sie trägt grüne Stiefel. Aber es ist nicht das Grün der Hoffnung, des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit, sondern das von BP.
„Die Geschichte spielt in Sankt Petersburg um 1860. Der bettelarme und überdurchschnittlich begabte Jurastudent Raskolnikow, wird durch eine Mischung aus Armut und Überlegenheitsdünkel immer mehr gespalten. Er entwickelt die Theorie der außergewöhnlichen Menschen, die im Sinne des menschlichen Fortschritts natürliche Vorrechte genießen sollten. Der arme Raskolnikow sieht sich selbst als solch Privilegierten, selbst wenn er zerlumpte Kleidung trägt und in einem kleinen, schlecht belüfteten Zimmer lebt. Aufgrund seiner finanziellen Situation wendet er sich an eine alte Pfandleiherin, die für ihn der Inbegriff einer Laus, eines wertlosen Menschen, ist.“
Also so ein Wurm wie mein Arbeitskollege Thomas oder meine Chefin Anne oder der Penner an dem wir in diesem Moment vorbeigehen, der genauso aussieht wie Ron Sommer und uns um Geld anbettelt.
„Er glaubt, er habe, da er meint ein wirklich großer Mensch zu sein, das Recht, rücksichtslos über diesen Menschen hinwegzugehen, was in seinem Falle Mord bedeutet. Er will so schnell wie möglich erfahren, ob er eine Laus ist, wie alle, oder ein richtiger Mensch, ein großer Mensch, wie Napoleon, der als Beispiel für vorbildliche Rücksichtslosigkeit dient.“
„Wieso Napoleon?“
„Der hat nicht lange geredet, der hat gehandelt. Egal wie viel Schaden entstand! So ungefähr wie George Bush!“
„Ja, und dieser Raskibums…“
„Raskolnikow!!“
„Wie auch immer. Dieser Typ will die Alte abziehen. Wo ist denn das Problem?“
„Raskolnikow ist eine Figur, die anfangs ihre Ideen und Vorstellungen vom Sein und der Welt über die Wirklichkeit selbst stellt. Von seinem eigenen Genie überzeugt, veröffentlicht er in einer Literaturzeitschrift einen Artikel, in dem er den außergewöhnlichen Menschen Rechte über die gewöhnlichen Menschen einräumt. Seine These gipfelt in der Behauptung, außergewöhnliche Menschen hätten das Recht und die moralische Pflicht, die gewöhnlichen Menschen zu ihren höheren Zwecken zu gebrauchen.“
„Was willst du mir damit sagen?“, frage ich und stecke mir eine Zigarette an.
„Würdest du damit klarkommen, wenn du diesem Menschen Leid zugefügt hättest?“
„Dieser Mensch ist doch kein Mensch.
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