Arsen und Apfelwein
machte sie ein Auge auf. Die Helligkeit schmerzte wie Nadelstiche. Sie klappte das Auge wieder zu.
Ein tiefes Lachen ertönte direkt neben ihrem Ohr. »Aufstehen, Schlafmütze. Wir müssen bald los.«
Verlegen richtete sie sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Dankbar griff sie nach dem Kaffee, den er ihr hinhielt. Sie sah sicher furchtbar aus. Zum Glück stand er auf und verschwand in der Küche. Sie sah sich um. Am Abend vorher hatte sie nur einen kurzen Eindruck von der Wohnung erhaschen können. Das Wohnzimmer hatten sie rasch durchquert und dabei ein Kleidungsstück nach dem anderen abgelegt. Das Schlafzimmer war hell und modern, das Bett riesig und weich. Es half alles nichts. Sie stand auf und lief mit dem Kaffee ins Bad. Ein Blick in den Spiegel über dem Waschbecken offenbarte, dass sie so schlimm aussah, wie sie befürchtet hatte. Der Rest ihres Make-ups war über das Gesicht verteilt, die Haare sahen aus, als hätte ein Vogel darin genistet und sie wollte gar nicht darüber nachdenken, wie sie roch. Es klopfte an der Tür. »Im Schrank ist eine neue Zahnbürste«, rief Kevin. Sie schloss kurz die Augen. Sie hatte die Nacht mit einem Mann verbracht, von dem sie nicht mal den richtigen Vornamen wusste. Sie suchte nach der Zahnbürste, putzte sich die Zähne und stellte sich ausgiebig unter die warme Dusche. Danach fühlte sie sich präsentabel genug, um aus dem Bad herauszukommen. In der Küche wartete ein kleines Frühstück auf sie. »Mehr hab ich nicht da«, meinte er bedauernd und wies auf ein paar Scheiben Toast und Schnittkäse.
»Das ist toll«, meinte sie ehrlich. »Kaffee reicht mir üblicherweise zum Frühstück.«
»Geht mir genau so.« Schweigend saßen sie beieinander.
Jenny sah auf die Uhr. »Wir kommen zu spät.«
Er winkte ab. »Nur ein bisschen. Musst du noch in dein Zimmer?«
Sie blickte an sich herunter. »Ganz kurz. Soll’n wir los?«
Er stand auf, räumte schnell den Tisch ab und holte ihre Jacken. Jenny sah sich unauffällig um, ob vielleicht irgendwo etwas herumlag, auf dem sein vollständiger Name stand. Nichts. Auch auf dem Schild außen an der Tür stand nur sein Nachname.
Vor der Akademie wartete Kevin, bis sie aus ihrem Zimmer zurück war. Jenny wäre lieber gewesen, er wäre ohne sie in die Trainingshalle gegangen. So hefteten sich alle Blicke auf sie und sie hatte das Gefühl, jeder hier wüsste, wo sie die Nacht verbracht hatte.
Während Kevin so professionell wie eh und je war, konnte Jenny sich nur schwer konzentrieren. Mehr als einmal traf sie ein Paintball, dem sie eigentlich hätte ausweichen müssen, und zweimal sah sie Kevin spöttisch grinsen und ihr zuzwinkern. Sie war dankbar, als es zur Mittagspause läutete. Sie verließ das Haus, statt in die Kantine zu gehen, und ging auf ihr Zimmer. Ein paar Minuten für sich. Das war es, was sie jetzt brauchte. Was hatte sie da nur gemacht? Mit einem Mann ins Bett zu gehen, den sie kaum kannte. Und der mit Sicherheit an jeder Hand fünf Frauen hatte. Immerhin war sie erwachsen und niemandem Rechenschaft schuldig. Biederkopf? Nein, dem auch nicht. Der tröstete sich ja mit der Blondine. Wie würde es jetzt weitergehen? Zweifellos war es eine Sache von einer Nacht. So und nicht anders wollte sie es auch. Aber konnten sie jetzt noch normal miteinander umgehen? Immerhin hatten sie einen Fall zu lösen und sie hatte auf Kevins Unterstützung gebaut. Vielleicht war es für ihn ja auch gar nichts Besonderes und er hatte dauernd One-Night-Stands.
Den Rest des Tages brachte sie einigermaßen gut hinter sich. Sowohl in der praktischen als auch in der schriftlichen Prüfung schnitt sie passabel ab. Sie verabschiedete sich kurz von Kevin, während er gerade mit einer Gruppe Kollegen sprach, und fuhr auf direktem Weg nach Frankfurt ins Präsidium.
Ihre Kollegen schauten erstaunt auf, als sie gegen sechzehn Uhr ins Büro kam.
»Schon fertig?«, meinte Logo. »Wie war’s denn?«
Sie versuchte, sich unbefangen zu geben. »Ganz interessant. Bin trotzdem froh, dass es rum ist. Was gibt’s hier Neues?«
Aber Sascha und Logo ließen sich nicht so leicht ablenken. »Erzähl doch mal«, meinte Sascha. »Was habt ihr durchgenommen? Siehst ganz schön fertig aus.«
»Na danke.« Jenny schluckte. Sah man ihr an, womit sie die Nacht verbracht hatte? »Schießübungen halt. Und neue Methoden. Ich geb euch die Unterlagen zum Durcharbeiten. Aber jetzt will ich wissen, was es im Fall Duprais Neues gibt. Habt ihr von Schaubert
Weitere Kostenlose Bücher