Arsen und Apfelwein
Obwohl es fast Mittag und hell war, brannte eine Lichterkette vor dem Fenster. Sie stiegen aus und liefen zur Eingangstür. Jenny klopfte energisch. Niemand öffnete. Sie versuchte, durch die Milchglasscheibe zu spähen. »Brennt da Licht?«
Logo drückte sich ebenfalls die Nase platt. »Schwer zu erkennen. Wieso brennt die Außenbeleuchtung? War sie heute noch gar nicht zuhause?«
»Möglich bei ihrem Job. Diesbezüglich hat sie ja anscheinend die Wahrheit gesagt. Sonst wäre nicht sie bei einer Razzia hopsgenommen worden.« Sie drehte sich um. »Sascha?« Er stand an der Hausecke und spähte um sie herum. Eine kleine Gittertür öffnete sich hier in einen Durchgang, der wohl in den Garten führte. Versuchsweise drückte er auf die Klinke. »Offen«, rief er über die Schulter zu Jenny. Mit einem Seitenblick zu Logo ging sie zu ihm. »Hört ihr nicht auch jemanden rufen?«, meinte sie laut.
»Das gibt Ärger!«, warnte Logo.
»Ich weiß nicht, was du meinst. Ich hör ganz sicher was.« Sie drängte sich an Sascha vorbei und lief an der Hauswand entlang nach hinten. Der Durchgang öffnete sich in einen winzigen, zugewachsenen Garten. Ein hellerleuchtetes bodentiefes Fenster bot ihnen ungehinderten Blick ins Wohnzimmer. Jenny blieb wie angewurzelt stehen. »Ruf einen Krankenwagen. Da liegt jemand.«
Während Sascha telefonierte, schnappte Logo einen Spaten, der am Haus lehnte, und brach die Tür auf. Jenny und er rannten ins Zimmer. Zwischen dem Wohnzimmertisch und einem Sessel lag der leblose Körper Ramona Wiesners. Jenny kniete sich nieder und fühlte nach einem Puls. »Sie lebt«, meinte sie zu Logo. »Sie atmet, aber ganz schwach.«
Vorsichtig zogen sie die Frau zwischen den Möbeln hervor und verbrachten sie in die stabile Seitenlage. »Hoffentlich kommt der Krankenwagen schnell. Sascha, geh nach vorne und weise sie ein.«
Während sie neben der bewusstlosen Frau warteten, sahen sie sich um. Auf dem Tisch stand auf einem kleinen Unterteller ein einzelnes dreiviertel volles Glas mit einer gelben Flüssigkeit. Logo schnüffelte.
»Apfelwein«, meinte Jenny. »Heißer. Auf dem Teller liegen Zimtstangenreste und eine Nelke.«
»Wenn du’s sagst«, meinte Logo.
Als Jenny die Sirenen näherkommen hörte, stand sie auf. Wenige Sekunden später betraten zwei Sanitäter das Zimmer und liefen zu Ramona Wiesner. Jenny sah einen Moment zu, wie sie sich um die verletzte Frau kümmerten. »Wohin bringt ihr sie?«, fragte sie dann.
»Höchst«, meinte der Jüngere. »Irgendeine Idee, was hier passiert ist?«
Jenny verneinte. »Wir haben sie so gefunden. Auf dem Tisch steht Apfelwein.«
»Riecht nach Bittermandel«, meinte der zweite Sanitäter. »Könnte eine Vergiftung sein.«
Der andere Sanitäter schnupperte. »Ich rieche nichts.«
»Das riecht nicht jeder«, meinte der erste Sanitäter über die Schulter zu Jenny gewandt. »Also Vorsicht!«
Stirnrunzelnd beobachtete Jenny, wie die Sanitäter eine Infusion legten und die Frau dann abtransportierten. Sie folgte ihnen zum Krankenwagen. »Sascha, fahr mit. Wir warten hier auf die Spusi.« Sascha nickte wortlos und sprang in den Krankenwagen.
Jenny und Logo holten Einmalhandschuhe aus dem Wagen, gingen zurück ins Haus und sahen sich vorsichtig um. Jenny öffnete mit einem Finger den Kühlschrank. »Da steht die Apfelweinflasche. Was ganz Feines aus einer kleinen Kelterei in Maintal. Teuer.«
»Hat sie geschenkt bekommen. Hier drüben ist der Rest der Verpackung, kleine Tütchen Gewürze und noch zwei Gläser. Apfelweingläser mit Goldrand hab ich bisher noch nicht gesehen.«
Jenny trat dazu und betrachtete sie. »Ich auch nicht. Schick.« Sie öffnete die Tür unter der Spüle und schaute in den Mülleimer. »Leer.« Dann sah sie sich unschlüssig um. Von der Küche schlenderte sie in den Flur und von da zur Toilette. Routinemäßig klappte sie den Toilettendeckel hoch. »Logo, komm mal schnell.« Als Logo hereinkam, wies sie mit dem Kinn auf die Toilette. Er trat näher und starrte herein. »Was?«
»Das schwarze Gekrümel!«
»Sieht aus wie das Zeug, das bei dem benutzten Apfelweinglas lag.«
»Die Spusi soll es untersuchen, aber was wetten wir, dass das Reste eines heißen Apfelweins waren?«
»Meinst du, sie hat das erste Glas hier entsorgt?«
»Kann ich mir schwer vorstellen. Wenn sie es ausgetrunken hat, wäre es einfacher, die Reste in den Müll zu tun. Und warum sollte sie sich einen neuen machen, wenn sie den ersten nicht
Weitere Kostenlose Bücher