Arsen und Apfelwein
die Polizei zu holen.«
»Warum hat der Botschafter mir das nicht erzählt?«
»Ich weiß es nicht. Er wusste übrigens schon länger, um wen es sich bei Duprais handelte. Die Botschaft verfügt über Methoden, so etwas herauszufinden. Ich verstehe nicht, warum er Sie angelogen hat. Ich habe ihn immer für einen integren Mann gehalten.«
»Kann es sein, dass Marc Duprais in Kontakt mit dem Mädchen kam?«
»Bestimmt nicht. Sie wurde vermutlich streng bestraft und dann weggeschlossen.«
»Bestraft? Wofür? Was hat sie getan?«
»Nach Ihrer und meiner Ansicht nichts. In den Augen der Frau des Botschafters jedoch war es ihre Schuld, das Interesse eines Mannes auf sich gezogen zu haben.«
»Das ist doch verrückt. Wie wurde sie bestraft?«
»Ich weiß es nicht. Sie ist eine sehr altmodische Frau. Körperliche Züchtigung, Hunger und Ähnliches. Sie war schon immer so.«
»Furchtbar. Woher wissen Sie das?«
»Der Botschafter hat einen Diener, der schon seit der Zeit vor seiner Hochzeit bei ihm ist. Er ist ein bisschen in mich verliebt, obwohl er doppelt so alt wie ich ist. Ich habe gestern Abend meinen Abschied gefeiert und Wein ausgegeben. Eigentlich verbietet ihn unser Glaube, aber gar so streng wird das nicht gehandhabt. Der Alkohol hat seine Zunge gelöst und in Anbetracht Ihres Besuches konnte ich ihn leicht auf das Thema bringen. Das Mädchen kommt übrigens aus demselben Dorf wie die Frau des Botschafters. Möglicherweise gibt es da eine persönliche Geschichte. Sie soll es auch vor dem Vorfall mit Duprais schon nicht gut behandelt haben.«
Jenny überlegte kurz. »Meinen Sie, hier könnte irgendwo ein Motiv für den Mord an Marc Duprais zu finden sein?«
Jetzt war es an Rabiah, einen Moment zu zögern. »Ich wüsste wirklich nicht, wie. Er stellte doch keine Bedrohung dar. Im schlimmsten Fall hätte es unliebsame Publicity gegeben, aber das ist doch kein Mordmotiv.«
Jenny bedankte sich. Nachdenklich legte sie auf. Jetzt hatten sie das Motiv für Marcs Interesse an der Botschaft. Im Hinblick auf das Mordmotiv waren sie jedoch nicht sehr viel weiter. Sie blickte auf. »Marc muss einen Vertrauten gehabt haben. Die Begegnung mit der Dienerin hat ihn offensichtlich sehr aufgewühlt. So etwas behält man doch nicht für sich?«
Logo fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Von Schaubert?«, fragte er.
»Möglich«, meinte Jenny und trommelte mit ihrem Stift auf dem Tisch. »Aber vielleicht war es ihm auch peinlich, einem Freund gegenüber zuzugeben, dass er einer Frau hinterherhechelte, die er nur einmal gesehen hatte. Noch dazu einer unbedeutenden Dienerin. Also ich hätte das dem arroganten von Schaubert nicht erzählt.«
»Ich weiß nicht, worauf du raus willst.« Logo sah sie verwirrt an.
»Vielleicht hat er sich eine Frau als Vertraute gesucht. Eine, die gesellschaftlich auf nicht so hoher Stufe stand.«
En Schimmer des Begreifens ging über Logos Züge. »Die Wiesner. Aber die war doch in ihn verliebt?«
Jenny schüttelte den Kopf. »Die Nummer von dem Dummchen, das sich in den reichen, gut aussehenden Jungen verliebt, nehm ich ihr nicht ab. Nicht mehr, seit ich weiß, dass sie zum Physikstudium zugelassen wurde. Ich würde ihr zu gerne nachweisen, dass sie auch bei Divinitus war. Schade, dass wir keine Fingerabdrücke von ihr haben.«
»Hast du vergessen, dass sie mal festgenommen wurde?«, rief Sascha von seinem Schreibtisch.
Jenny drehte sich um und starrte ihn an. Dann schlug sie sich vor die Stirn. »Hatte ich tatsächlich total vergessen. Überprüf, ob es Abdrücke gibt.«
Sascha nickte. »Schon geschehen. Gibt es.«
»Schick sie zur Spusi. Sie sollen sie mit denen aus dem Verbindungshaus abgleichen.« Sie rieb sich die Hände. »Endlich kommt Bewegung in die Sache.«
Es dauerte keine halbe Stunde, bis die Bestätigung der Spurensicherung da war. Ramona Wiesner war offensichtlich häufiger Gast bei Divinitus.
»Die knöpfen wir uns jetzt persönlich vor«, meinte Jenny. »Sie hat uns von Anfang bis Ende belogen. Na, die kauf ich mir.«
»Macht sie aber nicht unbedingt des Mordes verdächtig«, wandte Logo ein. »Vielleicht hängt sie nur in der Diebstahlsache drin und wollte sich nicht belasten.«
»Das kann sie uns ja gleich erklären.«
Jenny war ernsthaft sauer. Sie hatte genug davon, dass die Beteiligten sie anlogen. Am meisten ärgerte sie, auf Ramona Wiesners Vorstellung hereingefallen zu sein. Eine halbe Stunde später fuhren sie vor dem kleinen Haus in Kelsterbach vor.
Weitere Kostenlose Bücher