Artefakt
nicht die Bilder, die er durch das Fenster mitten in der Kanzel sah, gewesen wären, hätte er geglaubt, dass sich das Schiff noch immer auf Caina befand.
»Es gibt hier nur einen Sprungsektor, der sich ohne Kickout erreichen lässt.« Duartes’ Finger strichen durch blaue und grüne Symbole, die vor ihm erschienen, und Cambronne rückte an den Rand des Fensters, machte Sternen Platz. An einigen Stellen blinkten Symbole, mit denen Rahil nichts anzufangen wusste, und am rechten Rand erschienen Hinweise in einer Sprache, die er nicht kannte. »Dummerweise bietet er nur Pluszeit-Vektoren.«
»Pluszeit?«
»Der Flug nach Greenrose dauert für uns nur ein paar Tage«, sagte Duartes und drehte sich halb um. »Aber wenn wir unser Ziel erreichen, mein Junge, sind für den Rest des Universums mehr als zwei Jahre vergangen. Wo ist deine Freundin?«
»Sie ist nicht meine Freundin, sondern meine Schwester«, antwortete Rahil und begriff ein paar Sekunden zu spät, dass er damit etwas preisgab, das er vielleicht besser für sich behalten hätte. »Sie befindet sich in der Kabine, die du uns gegeben hast. Es geht ihr nicht gut.«
»Dann kümmere dich besser um sie. In zwei Stunden sind wir beim Sprungsektor, und dann solltet ihr beide in den Netzen liegen, wie ich es euch erklärt habe. Wenn wir springen, möchtest du nicht irgendwo an Bord unterwegs sein, glaub mir. Später gewöhnt man sich daran, aber für euch ist es das erste Mal, und es kann sehr unangenehm sein, glaub mir.«
Etwas piepte vor Duartes, und sofort wandte er sich wieder den leuchtenden Kontrollen zu, die sich seinen Bewegungen anpassten und so vor ihm wölbten, dass er sie mühelos erreichen konnte. »Oh, die Ägide hat hier einige neue Sensoren versteckt, die nach Schiffen wie meiner Rosenduft Ausschau halten.« Er winkte. »Geh jetzt, Junge, geh. Kümmere dich um deine Schwester. Bitte die Zickigen Zwillinge um Hilfe, wenn es ihr nicht besser geht. In medizinischen Sachen und dergleichen kennen sie sich gut aus.«
Rahil verließ die Pilotenkanzel und ging durchs Raumschiff, das zwar nur fünfzehn Meter durchmaß, aber in seinem Innern eine Vielzahl von kleinen Gängen und schmalen Schächten auf wies. Die Tür der Kabine, in der Duartes seine beiden Passagiere untergebracht hatte, stand offen, und eine sehr blasse Jazmine saß auf einem der beiden halb zusammengerollten Netze, die an Hängematten erinnerten. Haken und Leisten hatten aus den Wänden zu beiden Seiten geragt, waren jetzt aber verschwun den. Es war ein Phänomen, das Rahil aus den Bildern von Emilys Würfel und den Aufzeichnungen der Botschaftsbibliothek kann te: Formspeicher. Das Material der Wände verfügte über eine Art Gedächtnis, aus dem man verschiedene Formen und Strukturen abrufen konnte.
Rahil setzte sich neben seine Schwester und legte ihr die Hand auf die Stirn – sie war nicht so heiß, wie er befürchtet hatte.
»Das Fieber scheint ein wenig gesunken zu sein«, sagte er hoffnungsvoll. »Geht es dir besser?«
»Ein bisschen vielleicht«, erwiderte Jazmine. »Ich weiß nicht genau. Es fühlt sich alles seltsam an.«
»Duartes meinte, ich sollte die beiden Kzosek-Frauen um Hilfe bitten, falls es dir schlechter geht. Angeblich kennen sie sich mit Medizin und so aus.«
Jazmine zog sich auf dem Netz an die Wand zurück und griff wie hilfesuchend nach ihrem Zopf, aus dem sich einige Strähnen gelöst hatten. »Ich möchte nicht, dass sie mich berühren.«
Rahil lächelte. »Ich gehe nur zu ihnen, wenn sich dein Zustand verschlechtert. Also sieh zu, dass du dich erholst.« Er stand auf und zog das Netz auseinander. »Schlüpf hinein, Jaz. Deck dich zu. Schlaf, wenn du kannst.«
Sie kam seiner Aufforderung nach.
»Wir haben es geschafft«, sagte er. »Wir haben Caina verlassen. Ein neues, besseres Leben erwartet uns. Dort, woher Emily kam. Ein besseres Leben in einer besseren Welt.« Es klang irgendwie leer, fand Rahil. Es waren Worte, die erst noch Sinn und Bedeutung bekommen mussten. Aber er sprach sie trotzdem, für Jazmine, denn vielleicht brauchte sie außer ihrem Zopf noch etwas, an dem sie sich festhalten konnte.
Er setzte sich auf das zweite Netz, das sich sofort seinem Gewicht anpasste, beobachtete seine bleiche Schwester und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Sie waren tatsächlich unterwegs, auf dem Weg zur Bruch-Gemeinschaft, zur Ägide, mit all ihren Wundern und den Welten, wo niemand arbeiten musste, weil es dort genug von allem Notwendigen gab.
Weitere Kostenlose Bücher