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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Arme, als sie die auf sie gerichtete Waffe sah.
    Rahil fühlte sich noch immer halb betäubt, und die Arme gehorchten ihm nur widerwillig, als er sich hochstemmte, um Jazmine nicht länger mit seinem Gewicht zu belasten. Sie blieb liegen und sah zu ihm hoch.
    »Komm«, krächzte er. »Ich helfe dir auf.«
    Er griff nach ihrer Hand.
    »Junge …«, sagte Sarah.
    »Komm, Jaz.« Rahil zog, aber ihre Hand blieb schlaff; ihre Finger schlossen sich nicht um seine.
    Eine der beiden silbernen Nadeln steckte in Jazmines Schläfe, und Blut rann an ihr entlang. Die andere hatte sich durch die Stirn in den Kopf gebohrt und einen kleinen roten Fleck hinterlassen.
    Rahil starrte auf seine Schwester hinab. »Jaz?«
    Sie sah nicht zu ihm hoch. Sie starrte ins Leere, mit Augen, aus denen das Leben gewichen war.
    Jazmine war tot.
    Der schwarze Himmel des Weltraums wölbte sich über der Kuppel des Hangars, in dem die Rosenduft stand, und an diesem Himmel ging ein grüner Planet auf, nicht annähernd so groß wie Cambronne, aber größer als Caina und die anderen Welten des Dutzends, eingesponnen in ein Netz aus Satelliten, Raumstationen, Habitaten, Werften und automatischen Orbitalfabriken: Greenrose.
    »Sie können sie wiederbeleben«, sagte Rahil. »Dies ist die Ägide. Hier gibt es technische Mittel, mit denen man Tote wiederauferstehen lassen kann.«
    Sarah stand neben ihm und strich ihm sanft übers Haar, während bewaffnete Sicherheitsoffiziere Duartes und die beiden Kzosek-Frauen abführten. Zwei vogelartige Geschöpfe – Chormiki erinnerte sich Rahil – steuerten eine schwebende Bahre mit Culds Leichnam aus dem Schiff.
    »Mit einem Uterus könnten wir einen Körper schaffen, der wie deine Schwester aussieht«, sagte Sarah traurig. »Aber was ist mir ihrem Geist, Rahil, mit ihrer Seele? Ihr Bewusstsein wurde nie aufgezeichnet. Selbst wenn wir die primäre Technik in diesem Fall anwenden könnten … Der Körper bliebe leer.«
    »Sie ist tot«, sagte Rahil. »Sie ist wirklich tot. Und es ist meine Schuld.«
    Sarah ergriff ihn an den Schultern und drehte ihn so, dass sie ihm in die Augen sehen konnte. »Es ist nicht deine Schuld, Rahil, hörst du? Red dir das nicht ein. Sonst trägst du für immer offene Wunden in deiner Seele.«
    »Ich habe sie dazu überredet, Caina mit mir zu verlassen«, sagte Rahil und blickte erneut zu dem grünen Planeten hoch, der so viel versprach. »Mit einer Lüge«, fügte er hinzu.
    »Was auch immer deine Schwester veranlasst hat, dich zu begleiten … Für ihren Tod bist nicht du verantwortlich. Eine der beiden Kzosek-Schwestern hat sie auf dem Gewissen, und wir werden sie dafür bestrafen.«
    Die Hände der Missionarin wichen von Rahils Schultern. »Was dich betrifft …«, fuhr Sarah fort. »Du hast um Asyl gebeten, nicht wahr?«
    Er nickte nur und dachte an Jazmine, die nie wieder ihren langen schwarzen Zopf halten würde.
    »Nun, vielleicht finden wir in der Ägide einen Platz für dich, Rahil Tennerit.«

ZWEITER TEIL
    Heraklon
    »Heraklon wird den Hohen Mächten ein Beispiel dafür geben, was die Menschheit zu leisten vermag unter den richtigen Voraussetzungen«, sagte der Akkreditierte Geraldo Dekener Skafec. »Heraklon wird uns die Tür zur Kosmischen Enzyklopädie öffnen.«
    Die Ägide war achtzig Jahre jung, und der Akkreditierte war achtzig Jahre älter, ohne älter geworden zu sein. Die Femtomaschinen in seinem Innern, ein Geschenk der Hohen Mächte, waren unablässig damit beschäftigt, Zellschäden zu reparieren und seinen Körper zu erhalten.
    Sie standen auf dem Plateau der »Hohen Pforte«, einem Pass, der durch ein fast fünfzehn Kilometer hohes, bis in die Stratosphäre aufragendes Gebirge führte. Unter ihnen erstreckten sich die Wälder des Tieflands Cimeno wie ein grünes Meer.
    »Was siehst du, Meister?«, fragte Lidder, einst ein Schüler und inzwischen Missionar im Ruhestand. Er hatte viel geleistet, aber nicht genug, um unsterblich zu werden wie sein alter Lehrer, der Jahrzehnte jünger zu sein schien als er.
    »Ich sehe eine Welt für Dutzende von Menschenvölkern«, sagte Skafec. »Ich sehe eine Welt zahlreicher Kulturen, die alle in Frieden leben.« Er legte seinem ehemaligen Schüler, einst jung und jetzt ein alter Mann, die Hand auf die Schulter. »Ich sehe eine Welt der Diplomatie, die Wiege einer neuen Zivilisation. Ich sehe Hoffnung.« Er lächelte. »Ich sehe die Zukunft.«
    Mehr als fünfhundert Jahre später kam der Krieg nach Heraklon.

Jetzt stand der Mensch

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