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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Lokomotive.«
    »Wozu brauche ich deine Hilfe? Ich bin Exekutor.«
    »Ja, und sieh nur, was die Ägide angerichtet hat!«
    »Sie hat nicht …«
    »Sie hat nichts getan, bis es zu spät war. Ich bezweifle, dass die Ägide derzeit einen guten Ruf auf Heraklon genießt. Du könntest in Schwierigkeiten geraten, wenn du dich auf deine Exekutor-Privilegien berufst. Die Interdiktion ist ausgeweitet, und nur wenige Geräte sind davon ausgenommen, zum Beispiel der Interpreter, den du mir gestohlen hast. Die Evakuierung läuft im großen Stil, und es dauert sicher nicht mehr lange, bis alle Botschaften und Konsulate leer sind. Von wem erwartest du dann noch Hilfe?«
    Rahil sah wortlos auf seinen Vater hinab. Emily fiel ihm ein, und für einen Moment sah er ihr Lächeln, und wie sich dadurch die Sommersprossen in ihrem Gesicht bewegten.
    »Was ist aus ihr geworden?«, sagte er. »Aus Emily, meine ich. Was hast du mit ihr gemacht?«
    »Emily?«
    »Eine Missionarin der Ägide. Damals in Dymke. Ich war zehn oder elf. Sie hat Jazmine und mich unterrichtet. Ruben und Darel haben sie weggebracht.«
    »Ruben und Darel …« Es schien Coltan ebenso schwer zu fallen, sich an diese Namen zu erinnern. »Sie sind lange tot. Und was diese Emily betrifft … Ich erinnere mich nicht an sie. Mein Sohn, darf ich dich darauf hinweisen, dass es nicht besonders bequem ist, hier halb in der Tür zu liegen?
    »Und Mutter«, sagte Rahil. Wie lange hatte er nicht an seine Mutter gedacht?
    »Darf ich aufstehen?«
    Nach kurzem Zögern wich Rahil einen Schritt zurück und beobachtete, wie sich sein Vater ganz ins Führerhaus der Lokomotive zog und aufstand. Der Regen hatte ihm Ruß und Blut aus dem Gesicht gewaschen. Er tastete nach seinem rechten Arm in der Polymerschiene und schnitt eine Grimasse.
    »Deine Mutter, mein Sohn …« Coltan klopfte sich Schmutz von der Kleidung und warf einen kurzen Blick dorthin, wo er die Waffe vermutete. Rahil trat zum Tender, fand die Schusswaffe und hob sie auf. »Sie starb kurz nach eurem Verschwinden. Sie hing sehr an dir und Jazmine.«
    »Das hat sie gut zu verbergen gewusst«, sagte Rahil und hielt die Waffe in der Hand. Damit wäre es noch leichter gewesen. Leichter als ein Tritt.
    »Deine Mutter …« Coltan schien nach Worten zu suchen. »Sie …« Er gab es auf. »Lass uns nicht von deiner Mutter reden. Viele Jahrzehnte sind vergangen. Wir sind hier auf Heraklon. Das Artefakt wartet auf uns.«
    Rahils Hand bewegte sich wie von allein und richtete die Waffe auf seinen Vater, mitten auf die Brust. Der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.
    »Jazmine hätte nicht sterben müssen«, sagte er. »Wir hätten damals beide auf Caina bleiben können, wenn du …«
    Wenn du was?, dachte Rahil. Wenn du dich anders verhalten hättest? Wenn du nicht Coltan Jaqiello Tennerit gewesen wärst?
    »Das Schiff des Dutzends, das vor siebenundachtzig Jahren nach Heraklon kam«, sagte Coltan. »Es brachte nicht nur einen neuen Botschafter zur Großen Versammlung. Ich weiß, warum es damals in die Arktis dieses Planeten flog.«
    Das kühle Lächeln kehrte in Coltans Gesicht zurück. »Und ich weiß, wo du einen gewissen Äguizabel finden kannst.«
    Ein Blitz flackerte über den dunklen Himmel, Donner grollte, und dann begann es richtig zu regnen.
    Die Lokomotive stampfte durch die Nacht, und manchmal verwandelte sich ihr rhythmisches Schnaufen in ein Röcheln und Keuchen, wie von einem lebenden Geschöpf, das nicht genug Luft bekam. Rahil stand auf der einen Seite des Führerhauses, schaute aus dem Fenster und sah nur vom dunklen Himmel strömendes Wasser. Der Regen fiel so dicht, dass sein Blick selbst dann nur wenige Meter reichte, wenn Blitze die Finsternis für einen Sekundenbruchteil zerrissen.
    Sie waren seit mehreren Stunden unterwegs, und es fiel Rahil immer schwerer, die Augen offen zu halten. Die höhere Schwer kraft von Heraklon zerrte an seiner Kraft, und außerdem hatte er sich noch nicht von den Nachwirkungen des Absturzes erholt. Er sehnte sich nach einem trockenen Ort, wo er sich hinlegen und die Augen schließen konnte. Wann immer er den Kopf drehte, begegnete er dem Blick seines Vaters, und er fragte sich, ob Coltan nicht müde war. Wartete er darauf, dass sein Sohn vor Schwäche umkippte, dass er in eine Ecke sank und einschlief? Würde er dann versuchen, die Waffe wieder an sich zu nehmen?
    Manchmal fuhren sie durch Tunnel, und dann fürchtete Rahil, dem Ersticken nahe zu sein. Das Schnaufen und Röcheln der

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