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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Kraft in dem so zierlich wirkenden Polymorphen steckte. Die Lok hielt neben einem Turm aus Holz und Metall, und Sammaccan öffnete mehrere Klappen. Erst aus der letzten kam eine kleine Lawine aus Kohle – nur Kohle diesmal, kein Dung –, und im Tender wich Coltan fluchend und in einer Wolke aus schwarzem Staub hustend beiseite.
    Anschließend öffnete Sammaccan einen Deckel weiter vorn auf der Lokomotive, und unter seiner Anleitung zog Rahil einen dicken Schlauch heran, der von einem zweiten, runden Turm ausging.
    »Dass wir nach all dem Regen Wasser brauchen …«, sagte er und hielt den Schlauch, als Sammaccan vorn das Ventil öffnete.
    »Wir sind hier in Gannoe«, sagte der Polymorphe. Das Rauschen und Plätschern des in den Bauch der Lokomotive strömenden Wassers untermalte seine Worte. »So nennt mein Volk diese Tiefebene südlich des Krusor-Gebirges, das wir morgen erreichen. Gannoe ist doppelt so groß wie Munraha und hat doch nur ein Viertel der Einwohner. Ein karges, dünn besiedeltes Land, das jetzt völlig leer zu sein scheint.« Er deutete zu den Häusern hinter der Station, deren Umrisse sich vage in der Nacht abzeichneten. Türen und Fenster waren dunkel; nirgends brannte eine Lampe. »Es war so dünn besiedelt, weil es fast nie geregnet hat und im trockenen Boden kaum etwas wuchs.« Sein Blick ging zu den Regenwasserseen, die sich selbst hier gebildet hatten. »Alles verändert sich, Rahil Tennerit.«
    »Die Dinge verändern sich immer«, erwiderte Rahil. »Nichts bleibt, wie es ist. Aber dies …« Er spürte den kalten Wind, der aus dem Norden wehte. »Das Artefakt ändert das Klima des Planeten. Es nimmt Wärme auf, viel mehr als früher. Es frisst Energie und Materie.«
    »Wozu, Rahil Tennerit?« Sammaccan schloss das Ventil und gab den Schlauch frei. »Was macht es damit?«
    »Wenn ich das wüsste.«
    Als die Lok, mit Wasser und neuem Brennstoff versorgt, wieder durch die Nacht ratterte, fragte sich Rahil, ob sein Vater Bescheid wusste. Der Schmied, den Coltan vor siebenundachtzig Jahren zum Artefakt geschickt hatte … Mit welchen Programmen war er gekommen? Was hatte die Superschmiede für Coltan herstellen sollen?
    Als die Nacht ihrem Ende entgegenging, schlief Rahil auf seinem Schemel in der Ecke erneut ein und träumte von einer Frau mit Sommersprossen, die gleichzeitig ein Mädchen mit schwarzem, zu einem langen Zopf geflochtenen Haar war. Er erwachte, als eine Hand seine Schulter berührte, und für einen erschrockenen Moment dachte er, dass es die Hand seines Vaters war, wie früher. Er zuckte zurück, stieß mit dem Kopf gegen die eiserne Wand und verzog das Gesicht.
    »Wir haben den Outzen erreicht«, sagte Sammaccan. »Und es sieht nicht gut aus.«
    Coltan stand auf der anderen Seite des Führerhauses und blickte aus dem Fenster. Rahil stand auf und merkte, dass ein grauer Tag begonnen hatte und die Lokomotive stehen geblieben war. Sie stand auf den Gleisen und schnaufte wartend, während ein dumpfes, brodelndes Rauschen von weiter vorn kam.
    Rahil beugte sich durch die offene Tür auf seiner Seite des Führerhauses.
    Die Brücke vor ihnen sah nicht mehr wie eine Brücke aus, sondern wie eine schmale, von hohen Geländern gesäumte Straße, die unmittelbar über dem Fluss verlief. Dicht darunter wälzten sich braune Wassermassen tosend und donnernd durch eine Schlucht, die der Fluss nun fast ganz ausfüllte. Rahil beobachtete, wie die Wellen mit Baumstämmen und anderen Objekten spielten, die sich kaum identifizieren ließen. Einmal glaubte Rahil, etwas zu erkennen, das nach einem primitiven Fahrzeug aussah, aber es verschwand sofort wieder in den reißenden Fluten. Manchmal verkeilten sich Gegenstände unter der Brücke, und dann stoben die Wellen daran hoch, bis sie das Geländer erreichten, und schwappten darüber hinweg.
    Rahil schätzte die Breite des Flusses an dieser Stelle auf sieben- oder achthundert Meter.
    »Wie lange brauchen wir bis zur anderen Seite?«, fragte er.
    »Aus dem Stand?« Sammaccan überlegte. »Etwa zwei Minuten. Mit ein bisschen Anlauf … Weniger als eine.«
    »Gibt es keinen anderen Weg nach Lautaret?«
    »Die nächste Trassenbrücke befindet sich etwa sechshundert Kilometer östlich von hier«, sagte Sammaccan. »Wir könnten sie bis heute Abend erreichen, wenn alles gut geht. Und wenn wir unterwegs Brennstoff finden.« Er deutete zum nur halb vollen Tender.
    »Und wir müssen auf der anderen Seite der Schlucht zurück.«
    »Ja.«
    »Zwei Tage«,

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