Artefakt
zuhielt.
Rahil beobachtete ihn, schätzte seine Geschwindigkeit ab, verglich sie mit der der Lokomotive und gelangte zu dem wenig erbaulichen Schluss, dass beide einem Rendezvous entgegenstrebten.
»Wir müssen schneller werden!«, rief er. Sammaccan hielt inne, schüttelte den Kopf und deutete auf seine Ohren.
Rahil löste die Hände von der Stange, die ihm bisher Halt geboten hatte, sprang zum Polymorphen und riss ihm die Schaufel aus der Hand.
»Wir müssen schneller werden!«, wiederholte er und hörte, wie der Interpreter übersetzte. »Kümmere du dich um die Hebel und den anderen Kram. Ich sorge dafür, dass die Lok genug zu fressen hat.«
Er schaufelte, als hinge sein Leben davon ab, was durchaus der Fall sein mochte, und im Gegensatz zu Sammaccan brach ihm schon nach kurzer Zeit der Schweiß aus. Flammen loderten im Bauch der Lokomotive, und Rahil spürte ihre Hitze, wenn er sich der Klappe zuwandte und noch mehr Kohle ins Feuer warf, das sie sofort zu verschlingen schien. Aus dem Schnaufen der Lok wurde ein hektisches Keuchen, und sie flog fast über die Gleise. Einmal hielt Rahil kurz inne und sah den gewaltigen Baumstamm nur einige Dutzend Meter entfernt.
Ein Pfiff kam von vorn, vom Kessel, und ein Blick durch die Tür auf seiner Seite des Führerhauses zeigte Rahil weißen Dampf. Das Pfeifen wiederholte sich, und Sammaccan rief etwas von einem »Sicherheitsventil« und deutete auf mehrere runde Instrumente, hinter deren fleckigem Glas schwarze Zeiger in den roten Bereich wanderten.
Rahil achtete nicht darauf und wollte noch mehr Kohle in die Feuerbüchse schaufeln, aber Sammaccan stieß mit dem Fuß die Klappe zu.
Er richtete sich auf, die Schaufel noch immer in der Hand, und wagte es kaum, an seinem Vater vorbei durchs Fenster zu sehen.
Lokomotive und Baumstamm verpassten ihr Rendezvous um einige Meter. Der von den braunen Fluten herangetragene Rammbock war viel zu groß für die schmale Lücke zwischen Gleisen und Fluss – die Wellen schmetterten ihn gegen die Brücke, direkt neben einem ihrer Pfeiler.
Rahil hastete zur Tür auf seiner Seite des Führerhauses, streckte den Kopf hinaus und blickte nach hinten. Wellen stiegen auf, Wasser spritzte noch höher … und die Brücke brach.
Stein zerbarst. Eisenstangen bogen sich und gaben nach. Unter dem Gleisbett schien sich der Druck eines Geysirs zu entfal ten; Befestigungselemente und zerfetzte Schwellen wurden nach oben gewirbelt. Die Gleise gerieten in Bewegung, wie zwei stählerne Schlangen, die plötzlich entschieden, sich erst in die eine und dann in die andere Richtung zu winden.
»Wir schaffen es!«, rief Sammaccan, zog Hebel, klopfte auf das Glas von Instrumenten, drehte kleine Kurbeln und betätigte Ventile. »Wir schaffen es!«
Nein, wir schaffen es nicht, dachte Rahil. Noch etwa zweihundert Meter trennten sie vom anderen Ufer des Outzen, wo die Wassermassen des zornigen Flusses große Erdbrocken aus den Böschungen rissen. Die beiden Schlangen, zu denen die Schienen geworden waren, bewegten sich zu schnell. Nieten sprangen aus den Bahnschwellen hinter der Lok, und der Outzen schien seine Anstrengungen zu verdoppeln, das eiserne, keuchende Ungetüm zu erreichen, das es wagte, ihm zu trotzen. Die Wellen türmten sich höher auf, leckten nach der Brücke und warfen Treibgut gegen die Pfeiler.
Noch hundert Meter. Die Brücke bebte und schwankte, und mit ihr die Lokomotive. Sammaccan und Coltan riefen etwas, und es kam eine Stimme aus dem Interpreter, aber Rahil hörte nur ein schnelles Klacken und begriff plötzlich, dass es von seinen Zähnen stammte.
Noch fünfzig Meter, und dicht hinter ihnen gab ein Pfeiler nach. Die Trasse neigte sich zur Seite, aus dem Beben wurde ein Ruck, die Lokomotive kippte …
Und dann richtete sie sich wieder auf, als sie das Ufer erreich te und über Schienen rasselte, die festen Boden unter sich hatten.
Rahil schnappte nach Luft, als er merkte, dass er den Atem angehalten hatte. Sein Gesicht war schweißnass, und es lag nur zum Teil an der Hitze des Feuers, das im Bauch der Lok loderte.
Sammaccan strahlte, und sein Gesicht schien dabei breiter und runder zu werden. »Ich habe doch gesagt , dass wir es schaffen!«, rief er. »Na, bin ich ein guter Lokomotivführer?«
Rahil klopfte ihm auf die Schulter. »Das bist du, mein Freund, das bist du.«
Dann sank er auf den Schemel, weil die Knie unter ihm nachgaben.
38
Kurz nach Mittag hielten sie in einem kleinen Tal, weil Sammaccan ein Radlager der
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