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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Lokomotive untersuchen wollte, das schon seit einer ganzen Weile quietschte. Das Tal lag eingebettet zwischen den Vorbergen des Krusor im Norden und einem kleinen, felsigen Höhenzug im Süden, hinter dem die Fluten des Outzen strömten. Die dichte Wolkendecke war aufgebrochen, und warmer Sonnenschein fiel auf Rahil, als sie die Ruinen in der Mulde vor ihnen betrachteten. Es waren die Reste von Gebäuden, die vor fünfeinhalb Jahrhunderten zerstört worden waren, wie auf Schildern vor dem abgesperrten Bereich zu lesen war. Aber die Bauten hatten nicht aus Stein bestanden, sondern aus keramischen Materialien, Synthmetallen und den damals gebräuchlichen Polymeren. Und es war keine Stadt gewesen, sondern eine ausgedehnte Bunkeranlage, vielleicht sogar mit Brütern für Menschen der Zweiten Phase ausgestattet. Erinnerungen an seine Vorbereitungen entfalteten sich in Rahil.
    »Die Stummen Zeugen«, sagte er. »Es gibt sie auf mehreren Welten. Sie erinnern an die Katastrophe vor sechshundert Jahren.«
    Coltan zuckte die Schultern. »Zeugen nützen nicht viel, wenn sie stumm sind, oder? Wie dem auch sei … Ich sehe mich nach was Essbarem um«, sagte er und machte sich auf den Weg zu einer nahen Siedlung aus einfachen Steinhütten. Nichts regte sich dort. Rahil vermutete, dass sich die Einwohner des Ortes mit einem der Züge, die durch das Tal gekommen waren, auf den Weg nach Süden gemacht hatten. Aber offenbar waren nicht alle bereit gewesen, ihre Heimat zu verlassen. Auf der anderen Seite des Tals erstreckten sich Wiesen und Felder an den sanft geneigten, der Sonne zugewandten Hängen, und Gestalten bewegten sich dort. Einmal glaubte Rahil, das Tuckern eines Motors zu hören, und als er nach dem Ursprung dieses Geräuschs Ausschau hielt, bemerkte er eine Staubwolke, die von einem der Hangäcker aufstieg.
    Staub, dachte er. Hier hatte es nicht geregnet. Man hätte das Tal für eine Oase des Friedens in einer Welt halten können, die immer mehr auf eine globale Katastrophe zusteuerte, wenn nicht die Ruinen gewesen wären, die von einem alten Krieg kündeten, und die verlassene Siedlung daneben.
    Sammaccan richtete sich auf, hob seine Hände und änderte ihre Beschaffenheit, woraufhin der Schmutz von ihnen abfiel.
    Er deutete auf die Ruinen. »Es gibt noch andere Orte wie diesen, weiter im Westen und einen ganz tief im Süden, dort, wo das Meer Eis zu tragen beginnt. Ich bin einmal hier gewesen, als Kind, als meine Mutter nach Ziarion im Westen reiste. Ihre Gefährtinnen brachten mich hierher. Es war ein Tagesausflug, und ich erinnere mich an Sonne und Hitze. Ich weiß noch, dass ich damals gefragt habe, was es mit dem alten Krieg auf sich hat, was damals auf Hrkln, der Welt des Friedens, geschehen war. Eine der Dienerinnen antwortete mir, es hinge mit dem Ereignis zusammen. Als ich fragte, was das Ereignis sei, bekam ich eine Ohrfeige und den Rat, nicht so neugierig zu sein. Was ist damals geschehen, Rahil Tennerit? Kannst du es mir sagen?«
    Rahil beobachtete, wie sein Vater den Ort erreichte und in einem der lehmbraunen Steinhäuser verschwand. »Das Ereignis ist der Grund«, sagte er, und der Interpreter an seinem Kragen übersetzte.
    »Der Grund? Wofür?«
    »Für alles«, sagte Rahil. »Für das, was mit Heraklon geschieht. Der Grund, weshalb wir hier sind.«
    »Konnte die Dienerin meine Frage damals nicht beantworten, weil sie nichts davon wusste? Oder ist das Ereignis ein Geheimnis, über das man nicht spricht?«
    Das Wort Ereignis klang diesmal anders bei Sammaccan, obwohl es Rahil über den Umweg des Interpreters erreichte. Sonst hatte er es immer mit einer besonderen Betonung ausgesprochen.
    Das Tuckern in der Ferne verklang, und für einige wenige Sekunden war es völlig still im Tal. Selbst die Lokomotive hinter ihnen, die leise vor sich hingeschnauft hatte, schien den Atem anzuhalten und zu lauschen. Dann kehrte das Flüstern des leichten Windes zurück, und mit ihm das Zischen der Lok.
    Rahil ging über den staubigen Weg, der ihm nach all dem Schlamm seltsam erschien, und näherte sich der Absperrung, hinter der eine Böschung recht steil in die Tiefe reichte. Rechts und links der Treppe wuchs Gestrüpp in Felsspalten, doch weiter unten fand die Vegetation keine Ritzen mehr, in denen sie sich mit ihren Wurzeln festklammern konnte. Dort bestanden die Wände aus glattem Synthmetall und waren gewölbt, vielleicht die Reste einer Kuppel. Wie der obere Teil verschwunden war, blieb Spekulationen überlassen.

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