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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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die Ruhestellung, ging zum Polymorphen und berührte ihn an der schuppigen Schulter. »Sammaccan? Wir sind da. Wir haben die Verteilerstation erreicht.«

Du, geboren über Resten
Heiliger Vergangenheit,
Ruh ihr Geist auf dir!
    Die Stummen Zeugen
    37
    Direkt neben der Weiche, die zur Trasse nachLautaret führte, lag ein toter Segler.
    Rahil näherte sich ihm vorsichtig, die Waffe in der Hand, obwohl er bezweifelte, dass sie ihm gegen aktive Assimilierer, die auf der Suche nach Biomaterial waren, etwas genützt hätte. Das filigrane Gespinst aus dünnen Polymerstangen und den Folien der Sonnensegel lag zerfetzt und über die Landschaft verstreut, so weit der Blick reichte. Trümmer ragten wie Hügel in der Dämmerung auf, dunkel vor einem dunkler werdenden Himmel, an dem erste, kalt glitzernde Sterne erschienen. Weit entfernt im Osten zeigten sich Lichter, die vielleicht von einer Stadt stammten, und eine dicke Rauchsäule wuchs dort gen Himmel.
    »Hier hat ein Kampf stattgefunden«, sagte Coltan.
    »Nicht hier«, erwiderte Rahil. »Bei der Stadt im Osten. Ich nehme an, die Segler haben sie angegriffen. Dieser hier wurde abgeschossen und schaffte es bis hierher.« Vielleicht war es Boyenga, die Stadt der Spiegel, dachte Rahil und sah sich nach Sammaccan um, der vermutlich Bescheid wusste. Der Polymorphe schien sich gut erholt zu haben und besaß wieder menschliche Gestalt. Er zog einen von mehreren Hebeln bei einem großen Signalmast, und von der Weiche vor Rahil und seinem Vater kam ein lautes Klacken.
    Rahil ging zum größten Trümmerstück neben dem Gleis, einer halb geschmolzenen und dann wieder erstarrten Ansamm lung von Synthmetall und Polymeren, darin eingeschlossen die verkohlten Reste einer biologischen Komponente. Es ließ sich nicht erkennen, ob dies der Hauptkörper des Seglers gewesen war. Auf der einen Seite ragte etwas aus der Masse, das ein Arm gewesen sein mochte, verbunden mit den Resten eines Sensorclusters. Auf der anderen lagen die Überbleibsel einer Lebenserhaltungszelle für die empfindlichen Nervenapparate des Seg lers, für das Gehirn und die mit den Bordsystemen verbundenen atrophierten Muskeln. Rahil überlegte kurz, ob sich das Schiff für den Menschen darin, den Segler, tatsächlich wie eine Erweiterung seines Körpers anfühlte.
    Dieser Segler fühlte nichts mehr.
    »Ich verstehe nicht, wie sich Menschen so etwas antun können«, sagte Coltan. Er war an Rahil herangetreten und starrte auf die Trümmer hinab. »Aber natürlich sind das gar keine Menschen mehr.«
    Rahil schwieg eine Weile, dann erwiderte er leise: »Seit viertausend Jahren entwickeln wir uns in verschiedene Richtungen: Polymorphe, Segler, Acquaä, Vogelmenschen und all die anderen. Aber wir haben einen gemeinsamen Ursprung. Sind wir menschlicher, nur weil wir uns die ursprüngliche Körperform bewahrt haben?«
    Sein Vater maß ihn mit einem kühlen Blick. »Die Ägide hat dir Flausen in den Kopf gesetzt, mein Junge. Wie kannst du uns ernsthaft mit diesen Geschöpfen vergleichen? Sie haben ihre Individualität aufgegeben und sich mit Maschinen verbunden! Sie haben sich Maints untergeordnet!«
    »Vielleicht ist das eine neue Evolutionsstufe«, sagte Rahil und stieß mit dem Fuß die verkohlten Reste einer biologischen Komponente an. Ein Aschebrocken löste sich und fiel zu Boden. »Ich weiß nicht, ob dir deine Kriege im Dutzend Zeit gelassen haben, andere Welten zu sehen, Vater. Ich habe viele gesehen, und daher weiß ich: Das Normale existiert nicht. Normalität bezieht sich auf eine bestimmte Sichtweise. Es ist das anthropomorphische Prinzip, das den Beobachter veranlasst, sich als das Maß aller Dinge zu sehen. Aber was wir für normal halten, ist nur ein kleiner Ausschnitt der Wirklichkeit. Weitaus in der Mehrzahl ist das, was uns fremd und abwegig erscheint.«
    Rahil hob den Blick von den Trümmern des Seglers und sah seinen Vater an. Früher hatte er sich vor dem gefürchtet, was Coltans Augen manchmal zeigten; jetzt erfüllte ihn die kühle Überheblichkeit darin mit Abscheu. »Das ist einer der Gründe, warum die Ägide die Gefallenen Welten isoliert und versucht, ihre Entwicklung vorsichtig in die richtigen Bahnen zu lenken. Weil es dort andere wie dich gibt: kleingeistige, engstirnige Despoten, die glauben, alle Weisheit für sich gepachtet zu haben. Anthropomorphische Idioten, die der ganzen Menschheit ihren Unsinn aufzwingen würden, wenn sie die Möglichkeit hätten.«
    »Stattdessen zwingt uns die Ägide

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