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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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Vieles kam dafür infrage, überlegte Rahil. Damals war man mit dem Einsatz der Waffen nicht wählerisch gewesen. Das ganze Tal mochte das Ergebnis eines Gefechts an diesem Ort sein. Wer auch immer sich damals hier verschanzt hatte: Rahil bezweifelte, dass jemand am Leben geblieben war. Er fragte sich, ob vor sechshundert Jahren einige Menschen der Zweiten Phase Heraklon erreicht hatten. Wahrscheinlich nicht. Aber ein Teil ihrer Truppen, vom Ereignis verstreut, konnte es bis hierher geschafft haben.
    »Die Menschheit stand schon einmal an der Schwelle eines neuen Zeitalters«, sagte Rahil langsam und betrachtete dabei die Ruinen, die stumm von Tod und Zerstörung berichteten, von Leid und Hybris. Sein Vater irrte sich; auch stumme Zeugen konnten viel erzählen. »Vor gut sechshundert Jahren. Wir hatten die Hand auf der Klinke der Tür, hinter der eine bessere Zukunft auf uns wartet. Vielleicht hatten wir die Tür sogar schon einen Spaltbreit geöffnet. Aber dann führte die Zweite Phase zum Ereignis, das Chaos brachte und fast mit der Isolierung der Menschheit von allen anderen galaktischen Völkern geendet hätte. Die Gründung der Ägide trug dazu bei, dass wir eine zweite Chance bekamen. Damals gaben uns die Hohen Mächte sechshundert Jahre Zeit. Eine letzte Frist für eine letzte Möglichkeit. Sie geht in wenigen Monaten zu Ende, diese Frist, und ich fürchte, ich fürchte …«
    »Was war das Ereignis ?«, fragte Sammaccan. »Was geschah damals?«
    »Die Zweite Phase, oder die › Diaspora ‹ , wie sie die Gebrüteten und ihre Anhänger nannten …« Rahil versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Sammaccan hatte inzwischen einiges über Bruch-Gemeinschaft und Ägide erfahren, aber er kannte die historischen Hintergründe nicht. Wie sollte er ihm mit einigen wenigen Worten erklären, was geschehen war?
    »Vor viertausend Jahren brach der Mensch ins All auf«, sagte Rahil. »Von der alten Erde, die heute zu den Gefallenen Welten zählt und auf der kaum mehr jemand lebt. Die neuen Welten veränderten den Menschen, und es begannen lokale Evolutionen. Die menschlichen Gene beugten sich dem Druck neuer Umwelten und passten sich an. Doch einigen Menschen genügte das nicht. Auf manchen Welten wurde der genetische Code gezielt geändert, mithilfe von Maints.«
    Von Sammaccan kam ein Geräusch, das fast wie das Schnaufen der Lokomotive klang. »Ihr habt euch von Maschinen verändern lassen? Nicht nur, dass ihr Maschinen erlaubt, euch zu regieren, wie du mir erzählt hast, Rahil Tennerit … Ihr habt ihnen auch gestattet, eure Körper zu verändern?«
    »Wir werden nicht von Maschinen regiert, Sammaccan, das verstehst du falsch«, erwiderte Rahil, fragte sich aber, ob das stimmte. Auf einigen Welten der Bruch-Gemeinschaft neigte man dazu, wichtige Entscheidungen den Maints zu überlassen, die auch die Produktionskomplexe im Innern der Planeten steuerten und dafür sorgten, das alle Menschen Zugang zu den Produkten und Dienstleistungen hatten, die ihre Grundbedürfnisse befriedigten. »Maschinen helfen uns. Einige von ihnen sind Instrumente und Werkzeuge, andere so intelligent, dass sie gleichwertige Partner geworden sind.«
    Sammaccan schnaubte. »Sieh dir das an, Rahil Tennerit.« Er deutete auf die Lokomotive. Weißgrauer Rauch kam aus ihrem Dampfdom, stieg langsam auf und dehnte sich dabei zu einer Wolke aus. »Soll ich mit diesem Ding reden? Soll das mein Partner sein? Du bist mein Partner, ein Mann von der Ägide, ein Exekutor, ein lebendes Wesen. Maschinen müssen Dinge bleiben, ohne Macht.«
    »Möchtest du wissen, was es mit dem Ereignis auf sich hat? Oder sollen wir darüber reden, was Maschinen sind und was nicht?«
    »Erzähl mir mehr, Rahil Tennerit. Du hast vom genetischen Code gesprochen …«
    »Weißt du, was das ist?«
    Sammaccan nickte. »Ein Bauplan für den Körper, nicht wahr?«
    »Ja. Es wurden neue Menschen geschaffen, neue Arten des Menschen«, sagte Rahil. »Auf diese Weise entstanden die Ahnen der heutigen Segler und Acquaä. Auch die Vogelmenschen, zu denen wir unterwegs sind, verdanken ihre Existenz den damaligen genetischen Manipulationen.«
    »Und auch wir, die Polymorphen von Munraha, nehme ich an.«
    »Ja. Es war die Erste Phase, und du selbst bist ein Ergebnis davon«, sagte Rahil. Er sah zum verlassenen Ort neben den Stummen Zeugen und beobachtete, wie sein Vater aus einem Haus kam und in einem anderen verschwand. »Die neuen Menschenarten schlugen eigene Entwicklungswege ein, und manche von

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