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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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zitternden Vogelmenschen. »Sag ihm, dass er dir geben soll, was dir gehört.«
    Rahil glaubte zu verstehen. »Äguizabel hätte sie mir geben sollen, nicht wahr? Wir wären hierhergekommen, ich hätte ihn um das gebeten, was er für mich verwahrte, und er hätte es mir natürlich gegeben. Und dann? Wolltest du mich irgendwie dazu bringen, das Konsulat aufzusuchen, wo deine Leute auf uns warteten? Aber der andere Rahil machte dir einen Strich durch die Rechnung, und ich habe deine Helfer in den Spiegeln gesehen.«
    »Es sind nicht meine einzigen Helfer auf Heraklon, Junge.« Coltan zuckte die Schultern. »Früher oder später hätte uns eine Gruppe von ihnen erreicht. Aber es ist wichtig, dass wir hier sind, an diesem Ort, beim Verwahrer. Und dass du deine Erinnerungen bekommst. Verlang sie von ihm zurück.«
    »Warum?«
    »Warum wohl, mein Sohn? Vielleicht enthalten sie wichtige Informationen, die du bei deinem früheren Einsatz gesammelt hast. Informationen, die uns nützlich sein könnten.«
    Rahil beobachtete, wie der Mann in Uniform – Joyce – wieder den Stimulator auf der Stirn des alten Vogelmenschen berührte. Äguizabel zitterte heftig, blieb aber stumm. Vielleicht war er bereits so schwach geworden, dass er nicht einmal mehr stöhnen konnte.
    »Wenn er stirbt, nützt er dir nichts mehr«, sagte Rahil und versuchte, eine Entscheidung zu treffen. Er wollte die Erinnerungen an seine erste Mission auf Heraklon; deshalb war er hier. Und Coltan konnte mit den Aufzeichnungen selbst nichts anfangen. Wenn sie wichtige Informationen enthielten, so konnte er nur über seinen Sohn darauf zugreifen.
    »Wenn er stirbt, stehst du ebenfalls mit leeren Händen da, Junge«, sagte Coltan, der seine Gedanken zu erraten schien.
    Sammaccan zischte etwas, so leise, dass die beiden Interpreter – der auf dem Tisch und der kleine an Rahils Kragen – nicht darauf reagierten. Aber die Frau mit der kleinen Armbrust, Delana, hielt ihre Waffe dicht an den Kopf des Polymorphen.
    Hinter dem Tisch klirrte es, als der dort suchende Mann weitere Gläser fallen ließ.
    Coltan kam noch einen Schritt näher. »Wenn du doch endlich begreifen würdest, dass wir auf der gleichen Seite stehen, mein Sohn«, sagte er leise.
    Rahil stieß sich von der Wand ab und vertraute darauf, dass die Knie nicht unter ihm nachgaben, als er zum Tisch wankte, wo der Missionar – ein Missionar ! – gerade erneut den Stimulator auf Äguizabels Kopf berühren wollte. Er stieß den Uniformierten beiseite.
    »Ich bin es, Rahil, Tennerit«, sagte er und begann damit, die Stricke zu lösen, mit denen der alte Verwahrer an den Stuhl gebunden war. »Erkennen Sie mich?«
    Der kleine, fragile Vogelmensch mit den verkümmerten Flügeln hob langsam den Kopf. »Ich erkenne deine Stimme, Rahil Tennerit.«
    »Bitte … geben Sie mir das zurück, was ich vor einigen Monaten bei Ihnen zurückgelassen habe.«
    »Bist du sicher, Rahil Tennerit?«, fragte Äguizabel. Etwas mehr Blut sickerte unter dem Stimulator auf seinem Kopf hervor. Rahil versuchte gar nicht erst, das kleine semibiologische Gerät zu entfernen, denn inzwischen hatten sich die Wurzeln viel zu tief ins Gehirn gebohrt. Hier war medizinische Hilfe erforderlich. Aber er konnte dafür sorgen, dass der Verwahrer nicht mehr litt.
    »Schalten Sie es aus!«, wies er den Mann in Uniform an.
    Joyce richtete einen fragenden Blick auf Coltan.
    »Sie sollen das Ding ausschalten, verdammt!«, knurrte Rahil.
    Der Missionar holte ein kleines Gerät hervor, das wie ein silberner Stift aussah, richtete es kurz auf den Stimulator und steckte es wieder ein.
    »Ich habe gut verwahrt, was du mir gegeben hast, Rahil Tennerit.«
    »Da bin ich sicher.« Rahil löste den letzten Strick.
    »Seit hundertzweiundzwanzig Jahren verwahre ich, was man mir anvertraut, und nie habe ich dieses Vertrauen verletzt.«
    »Das ist sehr lobenswert«, sagte Rahil geduldig.
    »Und nie hat man mich verletzt«, fügte der alte Verwahrer hinzu und wollte aufstehen. Rahil half ihm vorsichtig auf die krummen Beine. »Bis heute.«
    Der Mann hinter dem Tisch hatte seine Suche unterbrochen und stand abwartend da, ebenso Joyce. Delana hielt noch immer ihre Armbrust an Sammaccans Kopf, und Rahil fragte sich kurz, ob der Polymorphe seine Gewebestruktur schnell genug verändern konnte, um mit einem – vielleicht vergifteten – Geschoss aus der Waffe fertigzuwerden. Er wollte es lieber nicht darauf ankommen lassen.
    »Geben Sie mir, was ich Ihnen anvertraut habe,

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