Artefakt
Enzyklopädie suchen ließ – er hatte es schon viel zu lange nicht mehr gehört, weil er zu sehr mit den Vorbereitungen für den Einsatz auf Heraklon beschäftigt gewesen war. Doch auch im Äther des Jahrmilliarden alten Wissens herrschte Stille.
Enttäuscht ließ er seinen Blick am Tisch im großen Instrumentenraum des Shifters entlangwandern, sich sehr wohl der Tatsache bewusst, dass er zum ersten Mal Teil einer so illustren Runde war. Der Greis ganz vorn hieß Osbeck Acerra Duxbery und gehörte zu den Langlebigen von Bahade, einer der zentralen Welten der Bruch-Gemeinschaft. Angeblich war er über vierhundert Jahre alt, und dieses lange Leben verdankte er kei nen Femtomaschinen, sondern gentechnischen Manipulationen und zahlreichen biomechanischen Implantaten. Nach Geraldo Dekener Skafec, vor sechshundert Jahren Vorsitzender des Gründungsrats der Ägide, war er das älteste Mitglied des Kuratoriums und wie Dekener als Gesandter bei den Hohen Mächten akkreditiert. Er wirkte, als wäre er schon zu Lebzeiten mumifiziert: die Haut graubraun und halbtransparent, die trüben, wässrigen Augen tief in den Höhlen liegend, die Hände schmal, die Finger lang und knochig. Wie in seiner krausen Uniform geschrumpft saß er da, an den Schläfen Interfacemodule, die ihn mit der Maint des Shifters verbanden.
Rechts neben Duxbery hatte Cuaresma Platz genommen, Repräsentant der Unionskonferenz der Bruch-Gemeinschaft und Sonderbevollmächtigter des Vorsitzenden: ein kleiner, hagerer Mann mit schütterem Haar, der immer sehr ernst wirkte und überhaupt nicht zu wissen schien, wie man lächelte. Zu beiden Seiten des Tisches saßen Vertreter der Sieben Völker: Chormiki, Aun, Ippakao, Panyko, Milwee, Chandswangh und eine Kzosek-Frau namens Thresa, deren Präsenz Rahil mit Unbehagen erfüllte, obwohl sie gar keine Ähnlichkeit mit Magda und Magdalena hatte, die in seiner Erinnerung weiterlebten.
Und hier bin ich, dachte Rahil, am Ende des Tisches. Er fragte sich, ob dieser Platz eine symbolische Bedeutung hatte.
»Diesmal müssen uns die Hohen Mächte Auskunft geben«, zirpte der Chormiki und klapperte kurz mit seinem rudimentären Schnabel. »Wir bestehen darauf.«
Als ob das jemals etwas genützt hätte, dachte Rahil.
»Sind wir sicher, dass das Objekt auf Heraklon aus der Zukunft kommt?«, erklang die dumpfe Stimme des dicken, großen Chandswangh, der einen Mikrogravitator trug. »Sind wir sicher, dass es eine Superschmiede ist?«
»Sicher?«, wiederholte Duxbery. Seine Stimme weckte in Rahil Vorstellungen von trockenem Pergament. »Wie können wir bei irgendetwas sicher sein?«
»Es sind also alles nur Spekulationen?«, quietschte die Kzosek-Frau. Sie war nicht ganz so groß wie die Zwillinge an Bord von Duartes’ Schiff, und auch nicht ganz so schmal. Aber ihre Kleidung ähnelte der von Magda und Magdalena, bestand aus Stoffstreifen, untereinander mit geflochtenen Schnüren verbunden. Die eine Seite des Kopfes war schuppig, die andere durchsichtig wie Glas: Die Gehirnwindungen zeigten sich in aller Deutlichkeit.
»Sicherheit ist des Narren Glück«, sagte Rahil, »und Spekulation die Weisheit des Bedächtigen.«
Der Aun auf der anderen Seite des Tisches trug einen Nassanzug, der seinen Körper vor dem Austrocknen bewahrte und von dem leise, gluckernde Geräusche kamen, wenn er sich bewegte, so wie jetzt, als er sich vorbeugte und mehrere Augenstiele auf Rahil richtete.
»Sie sind mit den Werken des Großen Wissenden Ladouce vertraut?«, fragte er. Sein Stellar war fehlerlos, und die Stimme klang erstaunlich menschlich.
»Er war ein sehr weiser Vertreter Ihres Volkes, Kolikas«, erwiderte Rahil. »Er stammte aus der Dritten Dynastie der Ehrenwerten Aun, und eins seiner wichtigsten Theoreme lässt sich, glaube ich, folgendermaßen zusammenfassen: Man ziehe niemals voreilige Schlüsse und erwarte immer Überraschungen.« Rahil wies nicht darauf hin, dass sein Instruktor – ein Chormiki ohne den Status des Philosophen – ähnliche Worte an ihn gerichtet hatte.
»Und mit welchen Überraschungen sollten wir in diesem Fall rechnen, Missionar Tennerit?«, fragte die Ippakao namens Jodee. Bunte Mineralienadern durchzogen ihr nur elf oder zwölf Zentimeter breites Gesicht.
»Wenn wir wüssten, welche Überraschungen uns erwarten, wären es keine Überraschungen mehr, oder?«, erwiderte Rahil. »Aber da die Hohen Mächte an dieser Sache beteiligt sind, sollten wir besser mit allem rechnen.«
»Das klingt …
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