Artefakt
wollten allein sein. Sie sind allein gegangen und allein verschwunden.«
»Und ihr Universum? Was geschieht mit ihrem Kosmos?«
»Er wird ewig bestehen«, sagte die goldene Gestalt, und diesmal veränderte sich die Stimme. Sie bekam einen hohlen Klang, als ertönte sie nicht hier im Flur mit den hohen, ernsten Bildnissen, sondern als käme sie aus einem tiefen, dunklen Schacht. »Die Sonnen werden noch einige Jahrmilliarden brennen, bevor sie erlöschen, und dann wird es in diesem Universum für immer finster sein. Vielleicht war es das, was die Exklusiven wollten: Finsternis und Vergessen.«
Sie betraten den Saal, in dem die Legaten der Hohen Mächte auf sie warteten.
44
Der ovale Tisch, graubraun wie die Tür aus Bronze, stand in der Mitte des Saals, an dessen Wänden sich weitere Statuen erhoben, ebenso ernst und traurig wie die im Flur. Auf der einen Seite des Tisches saßen drei Personen, und Rahil empfing so verwirrende Eindrücke von ihnen, dass er die Aktivität der erstaunlicherweise noch immer funktionierenden Femtomaschinen herunterfahren und seinen Wahrnehmungshorizont begrenzen musste. Die Augen zeigten ihm feste, unveränderliche Gestalten, wo die Femtosensoren eine Vielfalt von Strukturen und Emissionen registrierten. In der Mitte der Dreiergruppe saß zurückgelehnt ein graziles Geschöpf, wie eine Mischung aus Calopteryx und Basiliscus: die Gliedmaßen dünn und lang, in einem metallischen Grün und Blau schimmernd, die Augen aus Tausenden von winzigen Facetten zusammengesetzt, die wie in einem fraktalen Muster ihrerseits aus Facetten bestanden, am Hals Schuppen in einem opalisierenden Blau. An den schma len Schultern hing etwas, das nach Lappen aus weichem Leder aussah und silberne Pigmente enthielt, die bei jeder Bewegung glitzerten und funkelten. Ein Krion, dachte Rahil voller Unbehagen, denn er wusste, dass die Krion den Menschen ablehnend gegenüberstanden. Bei den Missionaren der Ägide munkelte man, dass sie sich mehrmals gegen eine Aufnahme der Menschen in den Kreis der Hohen Mächte ausgesprochen hatten und auch dagegen, ihnen Zugang zur Kosmischen Enzyklopädie zu gewähren. Rahil fragte sich kurz, ob die einzelnen Zivilisationen der Hohen Mächte eine Art Vetorecht besaßen. Wenn das der Fall war, gab es für die Menschheit kaum Hoffnung.
Zur Linken des Krion saß ein Leskovar, ein gnomartiges Geschöpf mit krummem Rücken, großen, kohleschwarzen Augen und runzliger Haut, unter der sich Knochen und Knorpel abzeichneten. Der Leskovar musterte sie, als sie näher kamen, und blinzelte wie in Zeitlupe: Halbtransparente Lider senkten sich über die Augen, blieben eine Sekunde unten und glitten dann langsam wieder nach oben.
Das Wesen auf der rechten Seite schien recht schwer zu sein, wies große Ähnlichkeit mit einem Choloepus auf und bewegte sich auch wie ein Faultier, langsam und träge. Ein Gesserat. In seinem Blick lag eine sonderbare Intensität, die Rahil das Gefühl gab, nichts vor diesem Geschöpf verbergen zu können. Er fragte sich, ob es, wie er befürchtete, seine Gedanken lesen und in die hintersten Winkel seines Bewusstseins sehen konnte; und dann dachte er, dass es in seinem Kopf Gesellschaft haben würde, weil es dort bereits eine telepathische Präsenz gab. Aber es war ein Gedanke, den er nicht hier dachte, sondern an einem anderen Ort.
* * *
Das Flugboot schwebte dicht über dem Boden, in unmittelbarer Nähe eines Flusses, dessen Rauschen Rahil durch die geöffnete Luke hörte. Metall klapperte, und er wusste: Zwei der Flugkontrolle dienende Rotoren waren ausgefallen und wurden repariert.
Jemand hob seinen Kopf an und hielt ihm einen Becher an die Lippen, und er trank kaltes Wasser.
»Ich kann kaum mehr Einfluss auf seine Gedanken nehmen, Sire«, sagte eine Frau. »Irgendwie gelingt es ihm, mich von dem Erinnerungsstrom fernzuhalten.«
»Bleib mit ihm in Verbindung, Delana.«
»Ja, Sire.«
Wieder erschienen kalte graue Augen vor Rahil. »Hörst du mich, mein Sohn? Bist du hier?«
Ja, ich bin hier, wo immer das auch sein mag, dachte Rahil. »Ja«, krächzte er müde. Der andere Ort rief ihn zurück und versprach mehr Realität.
»Schlaf, Junge. Nimm die Erinnerungen des Biomorphs auf.«
Was willst du wissen?, dachte Rahil und schloss die Augen. Warum bist du so sehr an den Aufzeichnungen interessiert?
* * *
Sie saßen an dem ovalen Tisch, in der Gegenwart der Hohen Mächte, deren Präsenz den Raum wie mit einer unsichtbaren Aura durchdrang und den
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