Artefakt
möglich wurde. Er nahm die Daten in sich auf, verarbeitete sie und zog Schlüsse aus ihnen, während Lucrezia sie noch kommentierte.
»Jemand hat den Programmbibliotheken einen trojanischen Layer hinzugefügt«, sagte er.
»Ich fürchte, darauf läuft es hinaus.« Lucrezia deaktivierte den Diagnoser und nahm den Gewebeklumpen aus dem Fach. Die graue Masse veränderte sofort ihre Struktur und verwandelte sich innerhalb von wenigen Sekunden in Kleidung. »Leider steht mir hier keine Schmiede zur Verfügung, Rahil. Ich kann dir also keine neue Rüstung brüten.«
Rahil stand da, voller dahinjagender Gedanken, die ihn in verschiedene Richtungen führten. Ein Produktionsfehler war auszuschließen – die Existenz eines trojanischen Layers deutete auf bewusste manipulative Absicht hin. Die Frage lautete: Wer wollte ihn manipulieren, und zu welchem Zweck? Eine mögliche Antwort, oder ein Teil der Antwort, lautete: Jemand versuchte, Einfluss auf seine Heraklon-Mission zu nehmen, bevor er den Planeten erreichte. Wer? Gab es eine Verbindung zu dem Schiff, das dem Shifter bei Ganska durchs Kickout der Leskovar gefolgt war und einen Disruptor gegen ihn eingesetzt hatte? Wer war überhaupt dazu in der Lage, den Programmbibliotheken einer Ägide-Rüstung, noch dazu einem Modell Empirion, einen Layer hinzuzufügen, der mit gewöhnlichen Mitteln gar nicht zu ent decken war und nur bei einem Tiefenscan auffiel? Spezialisten der Ägide, dachte Rahil. Vielleicht auch ein Schmied, wenn er genaue Anweisungen bekam. Obwohl … In diesem Fall schien die Manipulation nach dem Brüten stattgefunden zu haben.
Er fühlte Lucrezias fragenden Blick, wagte es aber nicht, seine Überlegungen zu unterbrechen, denn vielleicht brachten sie ihm eine wichtige Erkenntnis. Sekunden verstrichen, während seine Gedanken weitereilten, eine Möglichkeit nach der anderen prüften. Es gab kaum einen Zweifel daran, worum es ging: um seine Mission auf Heraklon, von der so viel abhing. Was war mit Zeit und Gelegenheit? Er war auf Heraklon gestorben, unter Umständen, von denen er nichts wusste, mit ziemlicher Sicherheit nicht als Opfer eines Unfalls, und die Ägide hatte in einem Uterus einen neuen Körper für ihn gebrütet und ihn mit einem Image ausgestattet, das bedauerlicherweise ein ganzes Jahr alt war. Es hatte alles sehr schnell gehen müssen, aber trotzdem war einem Feind Zeit genug geblieben, die Station der Ägide bei Ganska anzugreifen, einen großen Teil von ihr zu zerstören, darunter auch die Schmiede, und viele Personen an Bord zu töten. Wann konnte jemand unter solchen Umständen Gelegenheit gefunden haben, die Rüstung zu manipulieren, die der Kurator der Station für ihn vorbereitet hatte?
Es sei denn …
»Was ist, Rahil?«, fragte Lucrezia leise. »Was denkst du?«
Der Angreifer, der bei Rahils Erwachen irgendwo in der Station versteckt gewesen war … Vielleicht hatte er sich gar nicht verborgen. Vielleicht war seine Aktion erfolgreich gewesen. Rahil erinnerte sich daran, dass keine Überlebenden an Bord der Station gewesen waren, nur Tote, unter ihnen der Schmied. Er hatte allein mit dem Avatar des Kurators gesprochen, mit einer Gestalt aus polarisierter Projektionsenergie. Aber vielleicht war das Geschöpf, das er für den Avatar gehalten hatte, in Wirklichkeit der Angreifer gewesen, von dem auch der trojanische Layer in den Programmbibliotheken des Empirion stammte.
Rahil starrte auf seine Hände, als könnten sie ihm mehr verraten. Wie weit gingen Manipulation und Täuschung? Betrafen sie auch das ein Jahr alte Image und damit seine gegenwärtige Inkarnation? Oder führten ihn diese Gedanken in eine falsche Richtung? Jemand hatte die Station der Ägide angegriffen, was für sich genommen einmalig und unerhört war. Jemand hatte die Rüstung verändert, höchstwahrscheinlich zu dem Zweck, Einfluss auf ihn und seine Mission zu nehmen. Jemand – vermutlich ein Schiff der Hohen Mächte – war ihm durch das Kickout der Leskovar in den M-Raum gefolgt, um dort einen Disruptor einzusetzen, der seinen Flug nach Heraklon verhindern sollte.
Und jetzt war eine Polis der Hohen Mächte im abgelegenen und eigentlich unwichtigen Otiz-System erschienen.
»Rahil?«
»Kann ich von hier aus mit dem Schulungszentrum des Industrieparks Kontakt aufnehmen?«
Lucrezia nickte. »Depot, habitatinterne Kommunikation.«
»Kommunikation bereit«, ertönte eine Stimme.
»Ich möchte mit Sammaccan sprechen, den ich in Schulungszimmer siebenundzwanzig
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