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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Brandhorst
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und die Waffe in seiner Hand, gehalten von dünnen Knochenfingern, die aus zahlreichen kleinen Segmenten bestanden und in winzigen Krallen endeten. Der dreieckige Kopf steckte in einem Rezeptorhelm, hinter dessen Visier sich die Umrisse mehrerer dunkler Augenbündel abzeichneten.
    »Rahil Tennerit«, knarrte eine Stimme aus der Kommunikationsmaske vor der unteren Hälfte des Gesichts. »Sie sind identifiziert und sehen mich.«
    Der Ascar schoss.

Im Sklavendienst der Lüge,
Hab ich den Tag verbracht.
Nun hat der Gnadenschleier leis’
Herabgesenkt die Nacht.
    Gedankenspiele
    13
    Rahil flog zur Seite, noch bevor er die bewusste Entscheidung zum Sprung traf, und etwas heulte an ihm vorbei, so dicht, dass Schmerz in seiner Seite brannte. Er prallte auf den Boden, und für einen Sekundenbruchteil war er wie gelähmt, weil die Femtomaschinen in ihm fast ihr ganzes Potenzial der Reparatur der Wunde widmeten, von der nach dem ersten heftigen Schmerz Taubheit ausging, die den ganzen Körper zu erfassen drohte. Millionen winziger Maschinen in Blut und Gewebe machten sich daran, die Molekülketten des in den Körper gelangten Nervengifts zu zerlegen.
    Ein Paralysator, dachte er, und seine Gedanken waren noch immer schnell, wenn auch nicht so schnell, wie sie mit der Rüstung gewesen wären. Er will mich nicht töten, sondern überwältigen.
    Er rollte sich nach rechts, auf ein Regal zu, in dem Geräte und Instrumente lagen, stieß sich mit beiden Beinen davon ab und rutschte dem Empirion entgegen, das neben der Tür auf dem Boden lag. Bevor er es erreichte, zog er die Beine an, rollte sich auf den Rücken und gab sich mit beiden Armen einen Stoß, der ihn mit zusätzlichem Bewegungsmoment auf die Beine brachte. In der einen Hand hielt er die Rüstung, aber er hatte weder eine Waffe noch Gelegenheit, das Empirion anzuziehen.
    Der Ascar stand jetzt in der Mitte des Raums, groß und schmal, in der kleinen Krallenhand noch immer den Paralysator, die Augenbündel hinter dem Visier nicht mehr dunkel, sondern lindgrün. Ein Schnarren kam aus der Kommunikationsmaske, und die Umrisse von Schränken und Werkzeugablagen zitterten wie hinter einem Vorhang aus heißer Luft, als sich der Ascar bewegte und die Waffe herumschwang.
    Rahil begriff, dass ihm nur noch zwei oder drei Sekunden blieben. Vielleicht gelang es ihm, auch dem nächsten Schuss auszuweichen, aber spätestens der dritte würde ihn treffen.
    Er sprang, als wollte er über ein hohes Hindernis hinwegsetzen, das sich direkt vor ihm befand, und wieder heulte es, als ein Pfeilgeschoss des Paralysators unter ihm dahinraste und an der Wand zerbrach. Er fing den Aufprall mit ausgestreckten Händen ab und warf sich zur Seite, hörte dabei einen Schrei, der offenbar von Lucrezia stammte, und dann ein lautes metallisches Pochen.
    Als Rahil wieder auf die Beine kam, drehte sich der Ascar zu Lucrezia um, die ihm einen fünfzig Zentimeter langen Sensorbalken an den Rezeptorhelm geschmettert hatte. Die große, dürre Gestalt schwankte, und für einen Moment sah es aus, als könnte sie das Gleichgewicht verlieren und fallen. Aber der mit Minimotoren ausgestattete Tarnanzug richtete den Ascar wieder auf und hob den Waffenarm.
    Lucrezia bewegte sich genau in dem Augenblick, als der Ascar schoss, und ein Zusammentreffen unglücklicher Umstände wollte, dass der kleine, pfeilförmige Bolzen mit dem Nervengift Lucrezias offenen Mund traf, als sie zur Seite auszuweichen versuchte. Das Geschoss bohrte sich in den Gaumen und setzte das Toxin dort frei, in unmittelbarer Nähe des Gehirns. Noch im Fallen riss Lucrezia die Augen auf, und Blut spritzte aus ihrem Mund, als sie schwer auf den Boden prallte und reglos liegenblieb.
    In ihrem Körper gab es keine Femtomaschinen, dazu imstande, das Gift in seine molekularen Bestandteile zu zerlegen, und in unmittelbarer Nähe des Gehirns konnte das Toxin tödlich wirken. Vielleicht gab es für Lucrezia – die davon überzeugt gewesen war, erst in einigen Jahren sterben zu müssen, und die oft den Friedhof besucht hatte, auf dem sie bestattet werden wollte – nur dann eine Überlebenschance, wenn sofort die Medozentrale des Habitats verständigt wurde.
    Aber jeder Versuch, sie zu retten, hätte für Rahil bedeutet, dem Ascar Gelegenheit zu geben, ihn endgültig außer Gefecht zu setzen.
    Er sprang erneut, traf mit dem Fuß des gestreckten Beins ein Kniegelenk und hörte, wie es knackte. Die dürre Gestalt, halb durchsichtig und mit inzwischen rot gewordenen

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