Artefakt
hob kurz die beiden kleinen Geräte. »Nein. Die Sondierungen haben ergeben, dass Sie die Wahrheit sagen. Aber es spricht einiges dafür, dass Sie etwas zurückhalten, dass Sie mir nicht die ganze Wahrheit gesagt haben. Und deshalb …«
»Sie wollen mich deinstallieren!«, entfuhr es Rahil.
»Das ist ein hässlicher Ausdruck.«
»Wenn Sie mich für eine Fälschung halten und glauben, dass ich über geheime Informationen verfüge, können Sie sich nicht darauf beschränken, eine Kopie meines Bewusstseins zu erstellen, praktisch ein Image von einem Image. Die Informationen könnten genetisch in mir codiert sein, und vielleicht vermuten Sie, dass eine Entschlüsselung nur möglich ist, solange Rüstung, Körper und Image miteinander verbunden sind.« Darum hatte sie ihm das Empirion gelassen, begriff er plötzlich. »Also bleibt nur eine analytische Deinstallation in einem Uterus. Sie wollen mich in meine Einzelteile zerlegen.«
»Das klingt noch schlimmer, Rahil«, sagte Milissa mit aufrichtiger Anteilnahme.
»Welche Worte auch immer man wählt, sie ändern nichts am Resultat. Ich werde aufhören zu existieren.« Gab es keine Möglichkeit, die Interdiktionsbarriere zu durchdringen, ohne dass sie eine Schockstarre auslöste? Rahil überlegte, die Femtomaschinen sowie alle Systeme der Rüstung stillzulegen, dann zu springen und sie anschließend wieder zu aktivieren. War die Interdiktion so beschaffen, dass sie allein die Barriere betraf oder auch den Bereich dahinter, vielleicht die ganze Dachterrasse? Es gab nur eine Möglichkeit, es herauszufinden.
Rahil spannte die Muskeln.
Ein leises Piepen kam von einem der beiden kleinen Geräte, und fast gleichzeitig sagte Milissa Gauwain: »Davon rate ich Ihnen ab, Rahil. Sie würden das Bewusstsein verlieren und nicht wieder erwachen, bevor wir mit der Untersuchung beginnen.«
»Sie wollen mich töten.«
Die Psychomechanikerin verzog andeutungsweise das Gesicht. »Offenbar drücken Sie sich gern drastisch aus. Natürlich speichern wir Ihr Bewusstsein. Wir erstellen ein Image, das später auf einen anderen Körper übertragen werden kann.«
»Falls Sie es für richtig halten«, sagte Rahil. »Und falls der andere Rahil Tennerit nicht beschließt, das Image ebenso wie die übrigen zu löschen.«
»Das ist sein Privileg. Er ist der echte, authentische Rahil Tennerit. Sie sind eine illegale Kopie.«
»Es bedeutet den Tod für mich.«
»Sie sind schon dreimal gestorben, Rahil«, betonte Milissa. »Auch dieser › Tod ‹ ist nicht endgültig. Ihrem Psychoprofil habe ich entnommen, dass Sie ein ausgeprägtes Pflichtgefühl haben. Denken Sie jetzt an Ihre Pflicht, Rahil, das macht es vielleicht leichter für Sie. Durch Ihre Untersuchung erfahren wir möglicherweise, wer versucht, das Artefakt auf Heraklon unter Kontrolle zu bringen, und das könnte uns dabei helfen, diese Krise zu bewältigen. Sie sind Missionar der Ägide, Rahil; Sie erweisen uns einen großen Dienst.«
Aber es bedeutet, dass ich sterben muss, in einem Uterus deinstalliert, dachte Rahil. Es war eine Sache, bei einer Mission zu sterben, unerwartet, mit der Gewissheit, wiederhergestellt zu werden und das Leben in einer neuen Inkarnation fortzusetzen. Hier lag der Fall ganz anders. Es war praktisch eine Hinrichtung, und es fehlte die Garantie auf Wiedergeburt.
»Ich bin kein Missionar mehr, sondern Exekutor«, sagte Rahil und wollte springen, als sich hinter Milissa Gauwain die Tür öffnete.
Ein Mann um die fünfzig, mit haarlosem Kopf und buschigen weißen Brauen, trat auf die Dachterrasse. Er machte ein, zwei unsichere Schritte, und Wind erfasste seine zerfranste, irgendwie unfertig wirkende Kleidung.
»Kurator Dymond?«, fragte Milissa verwundert. »Stimmt was nicht?«
Die Gestalt des Kurators verschwamm, wie hinter einem plötzlichen Hitzeflirren und verwandelte sich innerhalb einer Sekunde. Aus dem Humanoiden Cregan Dymond wurde ein geflügeltes Geschöpf – eine Mischung aus Vogel, Schlange und Echse –, das seine ledrigen Schwingen ausbreitete, die Psychomechanikerin mit dem langen Schnabel zur Seite stieß und sich nach vorn warf, durch die Interdiktionsbarriere. Zwei kräftige Beine streckten sich Rahil entgegen, zwei Greifklauen packten ihn wie große Hände, während die Flügel schlugen, und das Geschöpf riss ihn über die Brüstung hinweg.
Sie fielen durch die Nacht, den vielen Lichtern der schwimmenden Stadt entgegen.
20
Rahil zitterten die Knie, als er schließlich, nach einem im
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