Artefakt
das kleine, flache Gehäuse, nicht viel größer als ein gutes Maniküreetui. Die Einweisung in seine Funktion nahm eine weitere halbe Stunde in Anspruch, und es ging bereits auf Mittag zu, als er die erste Messung machen konnte. Indem er die Ablesung zunächst in einiger Entfernung vom Artefakt machte, bekam er den richtigen Wert für das Magnetfeld der Erde, ein halbes Gauß. Die Anzeigenadel begann bedeutsam zu zittern, als er sich dem Block näherte.
»Annähernd zwei Gauß«, rief er aus.
»Was?« Abe hatte seine Rückkehr nicht bemerkt.
»Der Würfel hat ein starkes Magnetfeld.«
»Das glaube ich nicht.«
»Wetten wir?«
Abe ignorierte die Herausforderung und wiederholte jeden Schritt der Messung. »Vielleicht ist was mit der Batterie nicht in Ordnung«, murmelte er und wiederholte die Prozedur. Das Resultat blieb das gleiche.
Die nächsten zwei Stunden blieb Abe schweigsam, während sie Stärke und Richtung des Magnetfelds aufzeichneten. Auch John sagte nichts. Schließlich bemerkte Abe beiläufig: »Ich glaube, es ist ein vierpoliges Feld.«
»Was? Kein zweipoliges?« Eine magnetische Quelle im Würfel würde ein Muster gezeigt haben, das dem der Erde ähnlich war. Die Feldlinien würden vom einen Pol ausgehen und schleifenartig zum anderen verlaufen. Ein vierpoliges Feld war ein kompliziertes Gebilde von Schleifenlinien, als ob an jedem Kompaßpunkt ein Pol wäre.
»Das Muster ist unverkennbar«, sagte Abe beinahe traurig.
»Wenn zwei magnetische Quellen im Inneren wären, die jeweils verschieden orientiert…«
»Ja, das könnte den Effekt erzeugen. Trotzdem ist es seltsam.«
»Vielleicht gibt es getrennte Magneteisenkerne.«
Abe starrte stumm auf die Skizze, die er vom Magnetfeld angefertigt hatte. »Ein weiteres… sonderbares Merkmal. Es gefällt mir nicht.«
»Es bedeutet lediglich, daß wir auf etwas Wichtiges gestoßen sind.«
»Aber ich begreife es nicht. Warum sollten die mykenischen Griechen solch ein Ding machen? Wie konnten sie es? Es muß im Innern außerordentlich kompliziert sein.«
»Jedenfalls machten sie es.«
Abe schüttelte beunruhigt den Kopf.
Claire war ebenso aufgeregt. Noch am selben Nachmittag befragte sie ihn ausführlich, sprach mit Abe in seinem Büro und wollte auch dann nicht vom Thema lassen, als sie am Abend zu einem Empfang in die Cambridge-Universität fuhren. Ihre und Abes Einwände verblüfften John; sie ärgerten sich über jede Messung und Entdeckung, welche geeignet war, die Besonderheit des Artefakts hervorzuheben, während sein Interesse dadurch nur vermehrt wurde. Ihre Reaktion schien der Einstellung des Archäologen zu entspringen, die bestrebt war, ein lückenloses Bild zu erhalten. Ein nicht klassifizierbares Objekt mit ungewissen Verbindungen zum bekannten Bild der mykenischen Kultur war wenig geeignet, die Kenntnis jener Zeit zu vervollständigen. Es konnte das Werk eines verschrobenen Menschen sein, oder eines einsamen Genies, oder es konnte aus einer ganz anderen Gegend stammen. John meinte, daß man mit der Auffindung solcher Objekte rechnen sollte, aber die anderen betrachteten es einfach als Pech.
Der Empfang fand in einem weitläufigen Ziegelbau statt, der in einer schattigen Seitenstraße nahe der Harvard-Universität versteckt lag. Lautsprecher, die in allen Räumen angebracht waren, berieselten die Teilnehmer mit Mozart. Einer der örtlichen Radiosender veranstaltete eine Woche »musikalischer Orgien«, in der jeder Tag einem einzigen Komponisten oder einer Gruppe gewidmet war – Mozart, Wagner, den Beatles, Beethoven, Dylan –, wodurch jedenfalls gesichert wurde, daß selbst ein begeisterter Fan endlich zur Sättigung gelangte.
In seiner eigenen zerstreuten Stimmung kam die Erwartung, daß ein Abendempfang im Universitätsmilieu anregende, originelle Gespräche mit sich bringen werde, ungefähr der Hoffnung gleich, daß das Telefonbuch sich wie ein Roman lese. Claire verließ ihn und wanderte in andere Kreise ab, und irgendwie geriet John in eine Gruppe von Literaturwissenschaftlern. Das Heucheln höflichen Interesses fiel ihm schwerer als jede andere gesellschaftliche Pflicht, ausgenommen das Erinnern von Namen, so daß er sich unter dem Vorwand, sein Glas auffüllen zu müssen, wieder entfernte und umherirrte, bis er ein paar Mathematiker und Physiker fand. Er kannte einige von ihnen und kam in ein Gespräch über eine seiner Nebeninteressen, die Quantentheorie der Schwerkraft. Unter den Fakultätsmitgliedern von Harvard und
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