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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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wird die spröde, zurückhaltende Bostonerin mitgerissen und entpuppt sich als diese entschiedene, lebhafte Frau, die sich von niemand etwas vormachen läßt.«
    Sie lächelte vage und langte über das gestärkte weiße Tischtuch, um seine Hand zu ergreifen und fest zu drücken. »Ich… niemand hat sich je soviel aus mir gemacht, die zwei Seiten zu sehen.«
    »Du bist eine Meisterin der Verstellung.« Er drückte ihre beiden Hände zwischen den seinen. Das Händehalten bedeutete ihr mehr als jeder anderen Frau, die er gekannt hatte. Er vermochte nicht zu sagen, ob es ein romantisches Symbol für sie war oder etwas Tieferes. Nicht, daß die Antwort wichtig gewesen wäre.
    »Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, sagte sie, und um ihren Mund war noch immer der Ausdruck von Unsicherheit und Verletzlichkeit. Dies brachte ihn auf den Gedanken, was sie wahrscheinlich von Hampton und den anderen zu erwarten hatte. Nun, da er besser verstand, wie in der Archäologie gearbeitet wurde, wurde ihm klar, wieviel sie auf sich genommen hatte. Seine Kehle zog sich zusammen. Er drückte ihr beide Hände.

 
6
     
    »Komm schon, steh auf!«
    Er ächzte. »Hab Erbarmen mit den Toten.«
    »Man braucht bloß ein bißchen auszugehen, und schon wollen sie den ganzen Tag im Heu faulenzen.«
    »Ein bißchen ausgehen? Ich erinnere mich genau, daß es zwei Uhr war.«
    »Du warst natürlich obenauf, wie ich mich erinnere.«
    »Ein Zugeständnis an deine Verfassung. Du hättest nicht soviel Chablis trinken sollen.«
    »Das war es? Ich dachte mir doch, daß es besser schmeckte als das Bostoner Wasser.«
    »Vorwärts jetzt! Ich mache uns Hafergrütze.«
    »Soll das verlockend sein?«
    Sie zog die Decke weg und setzte ihn der kühlen Luft aus.
    »Ah! Schon recht, ich gebe auf! Wo sind meine Sachen?«
    »Du bist wirklich ein Primitiver. Nimm zuerst eine Dusche!«
    »Richtig, ich erinnere mich, im Fremdenführer über Boston davon gelesen zu haben. Wenn man nicht duscht, wissen die Eingeborenen gleich, daß man ein Ungeheuer ist.«
    Sie lächelte. »Wir haben bereits einen Dr. Jekyll und Mr. Hyde, wie du weißt.«
    »Ein großartiger Hüftendreher, dieser Mr. Hyde.«
    Das Handtuch traf ihn am Kinn. »Reinige dich, Schänder!«
    Als sie mit Tomatensaft zurückkehrte, saß er, geduscht und abgetrocknet, aber noch unbekleidet, über eine Nummer der Vogue gebeugt. Eine Katze rieb sich an seinen Knöcheln. »Vor dem Essen zieht man sich etwas an«, sagte sie mit gespielter Prüderie.
    »Ich suchte etwas in meiner Größe.« Er wedelte mit der Modezeitschrift. »Ich denke daran, Transvestit zu werden.«
    »Meine Mutter schenkte mir ein Abonnement, als ich fünfzehn war.«
    »Meine Mutter gab mir eine Gouvernante.«
    Sie zog ein Gesicht. »Davon merkt man nicht viel. Leute, die keine rechte Kinderstube hatten, wollen einem immer von ihrem ersten Mal erzählen.«
    Er küßte sie. »Morgen, Mr. Hyde. Du kleidest dich um eine Größenordnung besser als hier zu sehen.« Er warf die Vogue beiseite.
    Während er den Saft trank, brachte sie ihm einen Bademantel aus gelbem Frotteestoff. »Paßt für alle Geschlechter«, sagte sie, legte ihn um seine Schultern und rieb ihm den Nacken.
    »Interessant, nicht wahr«, sagte er und gähnte herzhaft, »daß Frauenzeitschriften immer voller Bilder von Frauen sind, und Herrenzeitschriften…«
    »Ja, auch voller Bilder von Frauen. Eine tiefe Kluft zwischen den Geschlechtern. Die Metaphysik unserer Unterdrückung.« Sie lächelte. »Vielleicht solltest du eine Dissertation darüber schreiben.«
    »Zu dumm, daß aus Mykene keine Playboy-Hefte erhalten sind. Wir könnten – wie heißt es im wissenschaftlichen Jargon? – vergleichen und gegenüberstellen. Wahrscheinlich wäre es die Nationale Stiftung für verbrauchte Ideen ein Forschungsstipendium wert!«
    Sie runzelte die Stirn, und er bedauerte sofort, es gesagt zu haben. Es ließ alle Konflikte Wiederaufleben, die seit dem Abend zuvor in Vergessenheit geraten waren; ihre Miene umwölkte sich, und ihre klaren Augen nahmen einen in sich gekehrten Ausdruck an. Dann ermunterte sie sich mit erkennbarer Anstrengung, beugte sich über ihn und küßte ihn mit entschlossener Leidenschaftlichkeit. »Wie wär’s, wenn du dir deine Hafergrütze verdienen würdest?«
     
    Die Anordnung von Elektronik und Sensoren um den Kalksteinblock war lückenloser und verwirrender denn je. John hatte sich niemals ganz an die Tatsache gewöhnen können, daß naturwissenschaftliche Arbeit in der Praxis

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