Artefakt
ausgebreitet. Du tust das gleiche.«
»Ich soll sie anrufen und bitten, mich zu interviewen?«
Er schnalzte mißbilligend. Nördliche intellektuelle Steifheit. »Du mußt machen, daß sie zu dir kommen. Das pflegte General Lee immer so zu halten.«
»Gettysburg war ein Versehen?«
»Eine geniale Strategie, die scheiterte.«
»Wie soll ich sie dazu bringen, daß sie geschnüffelt kommen?«
»Du hältst einen Vortrag. Mit Dias vom Artefakt.«
»An der Universität? Das würden sie verhindern.«
»Wäre anderswo nicht besser? Mehr im Blickfeld der Öffentlichkeit?«
»Mal überlegen… Wie wär’s mit dem Museum?«
»Wo ist das?«
»Du bist nie im Museum gewesen?«
»Ich bin ein Fachidiot, vergiß das nicht. Ein ungebildeter, antihumanistischer Wissenschaftler.«
»Ach ja, aus dem Land der Philister. Ich hatte es vergessen.« Sie schritt mit erneuerter Energie im Büro auf und ab. Er bemerkte mit Genugtuung, daß das rostbraune Kostüm ziemlich anliegend geschnitten war. »Das könnte klappen, weißt du… Das Museum veranstaltet gelegentlich öffentliche Vorträge. Aber wieviel sollte ich sagen?«
»Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit.«
»Wirklich?«
»Ja, du solltest mit allem herauskommen.«
»Abe Sprangle könnte Einwände erheben.«
»Wir werden mit ihm reden.«
»Vieles davon ist seine Arbeit; die Veröffentlichung muß er sich vorbehalten.«
»Nicht die archäologischen Aspekte.«
»Ich weiß nicht. Ich habe nie so für die Öffentlichkeit gespielt.«
»Wird Zeit, daß du es lernst.«
4
Als Claire das Bostoner Kunstmuseum verließ, verlangsamte sie ihre Schritte und lauschte dem harten Klang ihrer hohen Absätze auf dem Stein. Kurz vor dem Ausgang folgte sie einer Regung, bog nach links und schlenderte durch die ägyptische Abteilung. Sie war nicht bemerkenswert, aber in diesem Augenblick hatte sie ein Bedürfnis nach ihrer beruhigenden Gewißheit, ihrer Solidität, ihrer stummen Feststellung, daß die Vergangenheit andauerte, noch gegenwärtig war, noch etwas bedeutete.
Das Gespräch mit dem Museumsdirektor war erstaunlich günstig verlaufen. Er war hager und beherrscht, und zuerst hatte er so leise gesprochen, daß sie sich gefragt hatte, ob er Selbstgespräche führte oder sie meinte. Schon nach wenigen Minuten hatte sie gespürt, daß er sie anziehend fand, und es war ihr schwergefallen, diesen Vorteil nicht auszunutzen und alles auf der kühl professionellen Ebene zu halten. Seit ihren Jugendjahren war ihr bewußt, daß sie keine schöne Frau war, und so hatte sie daran gearbeitet, auffallend zu sein. Sie hatte sich für das marineblaue Kostüm mit dem roten Halstuch und den passenden Handschuhen entschieden, und das war in diesem Sinne hilfreich gewesen, das war nicht zu leugnen. Trotzdem haßte sie Charlotte Brontes Bemerkung, daß sie all ihr Talent gegeben hätte, um schön zu sein. Das verurteilte eine Frau dazu, immer anderer Leute Spiel zu spielen – und, wenn die Schönheit verging, schließlich zu verlieren.
MODELL EINER PROZESSION VON OPFERGABENTRÄGERN.
GEFUNDEN MIT DEN SÄRGEN DES DJEHUTI-NEKHT UND SEINER FRAU IN DER GRABKAMMER VON DEIR EL BERSHEH.
Hölzerne Figuren, die Vorräte für das Leben nach dem Tode trugen. Im Grab waren echte Vorräte und Werkzeuge gewesen. Djehuti-Nekht hatte, wie alle seine Zeitgenossen, von seinem Leben eine gerade Linie zur Ewigkeit angenommen, und so hatten seine Hinterbliebenen darauf geachtet, ihm nützliche Gegenstände mitzugeben. Aber welcher moderne Mensch, auch wenn er völlig gläubig war, würde Gegenstände mit sich ins Grab nehmen, die nur schön waren? Nein, das Äquivalent des zwanzigsten Jahrhunderts würde Kartons mit Konserven einlagern, Gewehre, vielleicht einen elektrischen Generator. Dies rührte sie immer wieder an – die unergründliche Kluft zwischen dem Denken des Gegenwartsmenschen und der Art, wie die Alten gedacht hatten. Sie waren wirklich fremd, nicht bloß unschuldige Landbebauer mit einem albernen Jenseitsglauben. Sie lebten, und ihr Eingehen auf ihre Welt war tief. Und, fügte sie in Gedanken hinzu, hoffen wir, sie irrten sich in der Frage des Lebens nach dem Tode, denn ein beträchtlicher Teil ihrer Habseligkeiten hatte nicht in jene Nachwelt gefunden, sondern war nutzlos in Museen gelandet.
Sie wanderte in die griechische Abteilung, wo sie den schwachen, aber beständigen Duft ihres geliebten Altertums atmete. Selbst hier, unter Glas und geschmackvoll beleuchtet, blieb die
Weitere Kostenlose Bücher