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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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so verhaßt wie der Gedanke, daß wir ihm nächste Woche das ganze verdammte Ding übergeben müssen.«
    »Ja, er wird den wichtigsten Fund der ganzen Grabung auf dem Präsentierteller bekommen, damit er ihn seinen Laborlakaien übergeben und den eigenen Ruhm mehren kann.«
    »Und in Anbetracht seiner Stimmung und der politischen Lage…«
    »Natürlich. Er wird den Fund selbst veröffentlichen.«
    »Es sei denn, wir tun etwas.« Claire machte plötzlich kehrt und ging den Zugangskorridor hinaus.
    »Aber was?«
    »Wir besorgen Spezialgeräte. Legen ein paar Nachtschichten ein. Machen vielleicht etwas Druck durch die Universität.«
    »Wie?« rief George ihr nach.
    »Ich fliege nach Boston. Nehme Fotos, mein Grabungstagebuch mit und bin in zwei Tagen zurück.«
    »Und ich soll hier alles allein machen?«
    »Ja. Laß die Arbeiter das Lager abbrechen! Du – du gräbst einfach weiter!«

 
     
     
ZWEITER
TEIL



 
1
     
    John Bishop fand es unnatürlich, einen Schirm zu tragen. Bostoner hatten ihm gesagt, dies sei der erste Schlechtwettereinbruch einer langen Reihe von Regenschauern, die in der nun anbrechenden Jahreszeit bevorstünden, also hatte er sich einen stabilen Schutz gekauft, dessen Spannautomatik sich mit alarmierender Energie aus seiner Hand entlud. Der Umfang des Schirms schien unnötig für den leichten grauen Nieselregen, der die Luft diesig machte und den Backsteinhäusern der Commonwealth Avenue einen surrealistischen Glanz verlieh. Er bog nach rechts in die Massachusetts Avenue und rümpfte die Nase über den penetranten Geruch von Pommes frites, Bratwürsten und tagealtem billigem Fett, der in Wolken aus der Reihe von Imbißstuben und Schnellrestaurants, in denen sich die Studenten drängten, über den rissigen Asphalt heraustrieb.
    Er verlagerte seine Aufmerksamkeit auf die jungen Frauen, die durch die Beacon Street zur Universität Boston gingen. Wie er selbst, schleppten auch sie schwere Aktentaschen. Es war eine Gewohnheit, die er im ersten Semester an der Rice-Universität angenommen hatte, vielleicht in unbewußter Gleichsetzung körperlicher Anstrengung mit produktiver Arbeit. Eine langbeinige Frau, die ihre Jeans in schwarze halblange Stiefel gesteckt hatte, erweckte sein Interesse.
    Er hatte immer eine Schwäche für große Frauen und die ihnen eigene, elegant schwingende Gangart gehabt. Er war knapp einen Meter achtzig groß, hatte sich aber nicht gescheut, mit Frauen auszugehen, die volle zehn Zentimeter länger als er gewesen waren. Ein Freund hatte ihn einmal mit der Anschuldigung betroffen gemacht, daß dies in Wahrheit keine natürliche Vorliebe sei, sondern eine Strategie, die auf der bekannten Tatsache beruhe, daß es langwüchsigen Frauen an Verehrern mangele und sie somit fügsamer seien. Die Erklärung hatte etwas Einleuchtendes, dachte John, da er ziemlich unauffällig aussah, mit wenig bemerkenswertem braunem Haar und blaugrauen Augen. Vielleicht hätten seine athletischen Fähigkeiten, die in der Oberschule ihren Gipfelpunkt erreicht hatten und seitdem einen stetigen Niedergang erlebten, zu seinen Gunsten gesprochen, wenn er sich mehr für gesellschaftlich ergiebige Betätigungen interessiert hätte, statt allein durch Parks zu traben oder gelegentlich an Wochenenden auf einer Stadiontribüne zu sitzen und dem Gerangel der Footballspieler zuzusehen. Aber nein, der Vorwurf des Freundes ging an der Sache vorbei; er mochte sie einfach groß, solange sie Haltung bewahrten und nicht in einem vergeblichen Versuch, kleiner zu erscheinen, die Schultern hängen ließen. Es schien ihm offensichtlich, daß keine Frau gut aussehen konnte, wenn sie sich bemühte, etwas zu sein, was sie nicht war.
    Der Berufsverkehr der Pendler auf dem Storrow Drive war in vollem Gange und erfüllte die Luft mit ungeduldigen Hupkonzerten, als gelte es, sich auf den beginnenden Arbeitstag einzustimmen. Er überquerte die Schnellstraße auf der Harvard Bridge – so benannt, dachte er ironisch, weil sie direkt in die Mitte des MIT stieß. Die Brücke war ein niedriges, häßliches Ding, das den Charles River mit spartanischer Nüchternheit überwand. Unten auf dem Fluß beugte und streckte sich eine Rudermannschaft in ihrem pfeilschnellen schmalen Boot, das ein schnurgerades Kielwasser durch die ölige Fläche zog. John erinnerte sich, in einer Informationsschrift gelesen zu haben, daß »Personen, die unbeabsichtigt in den Charles River fallen, gut beraten sind, ihre Tetanusimpfung auffrischen zu lassen«.

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