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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gregory Benford
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Das Kielwasser der Ruderer löste sich in einem jähen, böigen Regenguß auf. Sie gaben auf und steuerten ihr Fahrzeug zum MIT-Bootshaus. John zog die Schultern ein, hielt den Schirm dicht über den Kopf und überlegte, daß es wahrscheinlich eine schlechte Idee gewesen sei, seinen Wagen zu verkaufen, als er Berkeley verlassen hatte. Vorbeifahrende Wagen bespritzten ihn für seine Untreue zu ihrer Art reichlich mit Pfützenwasser, als er den Rest des Weges mit Schirm und Aktentasche zu traben versuchte.
    Die betongraue Phalanx des MIT war kahl, efeulos und imposant. Die schwarzgerahmten Fenster der älteren Gebäude zogen den Blick aufwärts. Das Hauptgebäude belohnte diesen vertikalen Drang mit einer nüchternen, bekrönenden Kuppel, die von einem römischen Vorbild kopiert war. Jeder Granitsims proklamierte wortkarg selbstverständliche Prinzipien und bereitete im Unterbewußtsein eingeschüchterter Passanten den Boden für die Erkenntnis, daß Wissenschaft nicht etwa ein Wust trockener Formeln und unverständlicher Regeln war, sondern das kunstvolle Werk lebendiger Menschen. Die Namen Aristoteles, Newton und Darwin waren in großen Blockbuchstaben eingemeißelt, und in geringerer Größe die Namen der Maxwells und Boyles und Lobaschewskis, die Gleichungen zur Welt gebracht, Elemente gefunden oder Rätsel gelöst hatten. Eine hochmütige Werbung: Wir schaffen die Männer, sie schaffen die Gesetze. (Dabei erschien tatsächlich kein einziger MIT-Absolvent in der Liste der Gesetzgeber.) Nahebei erhoben sich graue Steinmassen über mächtigen, kannelierten Säulen, deren Giebelfeld die Inschrift MASSACHUSETTS INSTITUTE OF TECHNOLOGY trug und den Eindruck eines weltlichen Tempels der Hochtechnologie vermittelte. Im Zweiten Weltkrieg hatte man auf dem Campus Flakbatterien aufgestellt, obwohl sie an den Kriegsfronten nicht immer zahlreich genug zur Verfügung gestanden hatten.
    John schüttelte den Schirm aus und stapfte in die stickige Wärme des Pratt Building. Die Unbekümmertheit der Studenten hier gefiel ihm besonders. Unweit von seinem Arbeitszimmer hing ein religiöses Flugblatt am Schwarzen Brett, dessen Überschrift feierlich proklamierte: ES GIBT DINGE, DIE ZU WISSEN DEM MENSCHEN NICHT BESTIMMT IST. Darunter hatte jemand über die Druckspalten gekritzelt: Ja? Nenne ein paar! John gefiel diese Einstellung: Karten auf den Tisch oder Mund halten. Es war erfrischend, nach den höflich aufmerksamen, langweiligen Studenten, die er vor seiner Promotion als Lehrbeauftragter an der Rice-Universität unterrichtet hatte.
    Er ließ seinen Regenmantel an einem alten hölzernen Kleiderständer tropfen und öffnete sein Fenster ein wenig. Er arbeitete gern mit dem böigen Rauschen des Regens im Hintergrund, einem willkürlichen Element, welches bezeugte, daß draußen ein vielfältiges, chaotisches Leben seinen Gang nahm, während er sich in seine Gleichungen vergrub.
    Er blickte von der Arbeit auf, als rasch und kurz an seine Tür geklopft wurde. »Herein!« Die Frau öffnete und kam drei Schritte ins Zimmer, blickte umher und sah ihn stirnrunzelnd an.
    »Dr. Sprangle sagte, ich sollte mit jemandem von der Metallurgischen Abteilung sprechen. Ich bin Claire Anderson.«
    Sie streckte ihm die Hand hin, und John Bishop kam hinter seinem Schreibtisch hervor, sie zu schütteln. Bei diesem Manöver hätte er beinahe den vollen Papierkorb umgestoßen, weil er den Blick nicht von ihrem Gesicht wenden konnte. Ihre Erscheinung hatte ihn wie ein körperlicher Schlag getroffen. Sie war keine schöne Frau, aber der kantige Schnitt ihres Gesichts fesselte ihn. Die Strenge ihres Kinns wurde im letzten Moment von einer besänftigenden Rundung ausgeglichen, die von der Kälte noch ein wenig gerötet war und seine Aufmerksamkeit über die Flächen ihrer Wangen aufwärts zu den hohen feinen Brauenbogen lenkte, die gleich Bollwerken die blitzenden blauen Augen beschützten. Und ja, sie war groß.
    Sie ließ ihren Blick durch das Büro schweifen und nur kurz auf seinem mit Arbeit überhäuften Schreibtisch ruhen; ihre vollen Lippen verzogen sich in einem fast geringschätzigen Lächeln. »Ich bin von der Archäologischen Fakultät, drüben an der Universität Boston.« Der Händedruck war fest und geschäftsmäßig. »Macht es Ihnen was aus, wenn ich rauche?«
    »Nein«, log er.
    Sie wandte sich mit einer Bewegung, die ihren roten Rock zum Schwingen brachte, zum Fenster und setzte sich auf das breite eichene Fensterbrett. »Ich versuche

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