Artefakt
weigern.«
»O doch, ich kann.«
»Dies widerspricht allem, was wir vereinbarten, als wir die gemeinsame Expedition unternahmen.«
»Ich brauche meine Aufzeichnungen.«
»Ich zweifle daran. Ich zweifle wirklich daran. Sie sind lediglich bestrebt, Dr. Kontos’ Arbeit zu behindern. Ich muß Sie noch einmal ersuchen…«
»Nein.«
»Sie bringen Ihre… äh… berufliche Position hier in Gefahr, Claire. Wenn Sie…«
Sie stand auf. »Berufliche Position? Ha! Mein Vater pflegte zu sagen: du mußt in der Lage sein, einen Chirurgen, der einen Luftröhrenschnitt macht, von einem Halsabschneider zu unterscheiden. Nun, das kann ich.«
Sie schwang ihren Schirm in einem weiten Bogen, dem beinahe ein Bücherstapel auf dem großen eichenen Schreibtisch zum Opfer gefallen wäre, und marschierte hinaus. Ihre Stiefelabsätze knallten zornig auf die knarrenden Dielenbretter.
Sie hielt sich recht gut, bis sie ihre Wohnung erreichte. Dort begannen ihr die Hände zu zittern, und ein Durcheinander von Zorn und Enttäuschung und Ich-hätte-sagen-sollen ging ihr wie ein Mühlrad im Kopf um. Sie schenkte sich einen Sherry ein, dann noch einen.
Hampton steckte so tief in akademischer Ehrbarkeit, daß ihm gar nicht in den Sinn gekommen war, sie könnte so zügellos, so schreiend irrational gewesen sein, ein Artefakt zu stehlen. Das war der einzige Faktor, der den Augenblick der Vergeltung verzögerte.
Möglicherweise glaubte Kontos tatsächlich, daß die Wachen den Würfel hatten verschwinden lassen. In diesem Fall brauchte er ihre Aufzeichnungen, um einen vorläufigen Fundbericht zusammenzuschreiben, seine Priorität herzustellen und somit Zeit zu gewinnen, bis er dem Artefakt auf die Spur kommen könnte.
Es bestand keine Möglichkeit, daß diese Fiktion lange aufrechterhalten werden konnte. Sie zündete eine Zigarette an und schaltete das Radio an. Eine nasale Stimme winselte, daß ihre Zuckerpuppe fortgelaufen sei, daß sie nicht wisse, was sie dazu sagen solle, sie könne sich nur hinsetzen und weinen, vielleicht würde sie nun sterben müssen. Claire schnitt ein ärgerliches Gesicht. Sie hatte gedacht, daß Cole Porter nicht nur tot sei, sondern vergessen.
Das Sherryglas war leer, und sie füllte es auf. Auf dem Rückweg von der Hausbar bemerkte sie, daß sie ihre Zigarette fast aufgeraucht hatte, und drückte den Stummel aus. Als sie zur nächsten griff, hielt sie ein. Dieses Verhaltensmuster war ihr nur zu gut bekannt. Allein, voller Sorgen, bedrückt von den Ereignissen des Tages und der Ausweglosigkeit ihrer Lage, konnte sie nur zu leicht in einen Zyklus der Abhängigkeit geraten. Sie wollte sich nicht einem Abend neurotischer Ängste aussetzen und griff zum Telefon.
»Weißt du, wo Locke Ober ist?« fragte sie, als John sich nach dem dritten Läuten im Laboratorium meldete. Sie hatte gewußt, daß er dort sein würde, obwohl es sechs Uhr vorbei war.
»Ja, ich glaube schon.«
»Dann treffen wir uns dort um sieben. Ich muß mich wiederherstellen.«
Eine Stunde später saßen sie an einem kleinen runden Tisch im ersten Stock und tranken Whisky Soda. Der Oberkellner hatte sich bewegen lassen, ihnen auch ohne Reservierung einen Tisch zu geben, aber nicht durch Johns beharrliches Drängen, sondern vielmehr – zu ihrer Überraschung –, weil er Claire erkannte. »Das zeigt wieder einmal, daß es seine Vorteile hat, Vorfahren zu haben, die seit einem oder zwei Jahrhunderten regelmäßig hierher kamen«, bemerkte sie.
»Hm. Hübsches Lokal«, räumte John ein.
»Ich mag den Spinat mit Rahm hier.« Sie blickte im Raum umher, der sich rasch mit Gästen füllte. »Touristen und Untermenschen kommen ins Obergeschoß, wo es ein bißchen moderner ist. Bis in die Siebzigerjahre ließen sie Frauen überhaupt nicht ein, glaube ich. Die Kellner sind höflich, aber gewöhnlich auch taub.«
Als wäre es das Stichwort gewesen, kam ein gebrechlich aussehender Mann herangeschlurft und nahm ihre Bestellung an. Claire ließ einen liebevollen Blick über die Speisekarte schweifen. »Hummer frisch vom Boot in Portland, daran erinnere ich mich noch, als ich mit meinem Großvater hier war.«
»Ein alter Seebär?«
»Nein, ein Bankier. Er und meine Großmutter sind das älteste Ehepaar in Vermont; letztes Jahr gab es einen Zeitungsartikel über sie. Mein Großvater erzählte dem Reporter seinen Lieblingswitz: ›Warum kaufen die Leute immer noch Shampoo, wenn sie richtigen Po haben können?‹ Er ist eine Art Original
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