Artemis Fowl
Schmerz erst hinterher fühlt. Nein, entgegnete ihre pessimistische Hälfte, sieht nicht so aus. Sie donnerte gegen einen normannischen Wandbehang, der über ihr zu Boden fiel. Der Schmerz traf sie augenblicklich und mit überwältigender Wucht.
»Oh, Mann«, stöhnte Foaly. »Das hab sogar ich gespürt. Die Sicht ist ausgefallen und die Schmerzsensoren haben fast die Anzeige gesprengt. Deine Lungen sind geplatzt, Holly. Wir werden dich für eine Weile verlieren, aber mach dir keine Sorgen, deine Magie müsste eigentlich schon am Werk sein.«
Holly spürte, wie das magische blaue Kribbeln durch ihre zahlreichen Wunden schoss. Dem Himmel sei Dank, dass es Eicheln gab. Doch es war zu wenig und kam zu spät. Der Schmerz überstieg bei weitem die Grenze des Erträglichen. Kurz bevor sie in Bewusstlosigkeit versank, rutschte Hollys Hand unter dem Wandteppich hervor. Sie landete auf Butlers Arm und berührte seine bloße Haut. Erstaunlicherweise war der Riese nicht tot; ein hartnäckiger Puls zwang das Blut durch die zerschmetterten Glieder.
Heile, dachte Holly. Und die Magie strömte durch ihre Finger.
* * *
Der Troll stand vor einem Dilemma - welche von den beiden Frauen sollte er zuerst fressen? Schwierige Entscheidung. Der bohrende Schmerz in seinem Schädel und die Ansammlung von Kugeln, die in seinem Brustspeck steckten, machten es ihm auch nicht gerade leichter. Schließlich gab er sich einen Ruck. Das oberirdische Wesen. Zartes Menschenfleisch. Keine zähen Elfenmuskeln, auf denen man stundenlang herumkauen musste.
Die Bestie ging in die Hocke und drehte mit einer vergilbten Kralle das Kinn des Mädchens zu sich herum. Eine träge pulsierende Schlagader wand sich ihren Hals entlang. Herz oder Hals?, überlegte der Troll. Hals, der war näher. Er schob die Kralle ein Stück tiefer, so dass die Spitze gegen die weiche Haut drückte. Eine kurze Bewegung, und der Herzschlag des Mädchens würde das Blut aus ihrem Körper treiben.
* * *
Butler kam zu sich, was als solches schon eine Überraschung war. Er wusste sofort, dass er am Leben war, da ein bohrender Schmerz in jedem einzelnen Kubikzentimeter seines Körpers wütete. Das gefiel ihm gar nicht. Gut, er war am Leben, aber in Anbetracht der Tatsache, dass sein Hals um einhundertachtzig Grad verdreht war, würde er nie wieder auch nur einen Hund ausführen, geschweige denn seine Schwester retten können.
Vorsichtig wackelte er mit den Fingern. Tat höllisch weh, aber immerhin, sie ließen sich bewegen. Es war unglaublich, dass er nach dem erlittenen Aufprall überhaupt noch etwas bewegen konnte. Auch seine Zehen schienen in Ordnung zu sein, doch das war möglicherweise nur eine Phantomreaktion, da er sie nicht sehen konnte.
Die Blutung in seiner Brust schien aufgehört zu haben, und er konnte klar denken. Alles in allem war er in einem weit besseren Zustand, als es der Situation entsprach. Was zum Teufel ging hier vor?
Dann bemerkte Butler noch etwas. Um seinen Oberkörper tanzten blaue Funken. Offenbar eine Halluzination, hübsche Bilder, um ihn vom Unausweichlichen abzulenken. Allerdings eine ziemlich realistische Halluzination.
Die Funken sammelten sich an verletzten Stellen und versanken dort in der Haut. Butler erschauerte. Das war keine Halluzination. Hier geschah etwas Außergewöhnliches, etwas Magisches.
Magie? In seinem frisch aus dem Dämmerzustand aufgewachten Hirn klingelte ein Glöckchen. Elfenmagie. Sie heilte seine Wunden. Er drehte seinen Kopf und zuckte zusammen, als er das Knirschen der Wirbel hörte. Auf seinem Unterarm lag eine Hand. Funken flogen von den schlanken Elfenfingern und wanderten zielsicher zu Quetschungen, Brüchen und Rissen. Es gab eine Menge Verletzungen zu verarzten, doch die kleinen Funken erledigten es schnell und wirkungsvoll, wie eine Armee mystischer Biber, die Sturmschäden beseitigte.
Butler spürte regelrecht, wie seine Knochen sich wieder zusammensetzten und das Blut sich aus den halb angetrockneten Wunden zurückzog und wieder zu zirkulieren begann. Sein Kopf drehte sich unwillkürlich, als seine Wirbel an ihren Platz zurückkehrten, und neue Kraft durchflutete ihn, als Magie die drei Liter Blut ersetzte, die er durch die Wunde in seiner Brust verloren hatte.
Butler sprang auf die Füße - ja, er sprang tatsächlich. Er war wieder er selbst. Nein, mehr als das: Er war so stark wie in seinen besten Zeiten. Stark genug, um sich erneut auf die Bestie zu stürzen, die sich vor ihm über seine
Weitere Kostenlose Bücher