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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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nicht mehr ertragen. Die Morgendämmerung konnte gar nicht früh genug hereinbrechen.
    »Ember, warte«, rief Chase, packte meinen Arm und hielt mich fest. Widerstrebend wandte ich mich um, weigerte mich aber, den Blick zu heben und ihm in die Augen zu schauen.
    »Hör mal … ich weiß, du sorgst dich seinetwegen. Aber wahrscheinlich geht es ihm gut«, sagte er frustriert.
    Wahrscheinlich geht es ihm gut?
    »Was … von wem sprichst du?« Ich dachte, er hätte begriffen, dass es um Chase selbst ging, um den Chase, der mich gerngehabt hatte, und den, der mich nicht gernhatte, aber er redete von jemandem ganz anderen, und ich spürte den langsam aufsteigenden Schmerz der bevorstehenden Demütigung.
    »Von dem Wachmann aus der Reformschule. Ist das nicht der, an den du gedacht hast?«
    »Sean?« , fragte ich verdutzt. Und dann fiel es mir wieder ein. Randolph hatte in der Hütte angedeutet, ich hätte etwas mit einem Wachmann gehabt, als Chase sich nach mir erkundigt hatte, und dann, später, hatte ich diesen Trugschluss gefestigt, indem ich Chase gefragt hatte, was mit einem Soldaten passieren würde, der mit einer Bewohnerin erwischt wurde. Und nach allem, was passiert war, hatte er gerade das im Gedächtnis behalten?
    Nur für einen Atemzug war ich verlegen, denn gleich darauf wurde mir die Kränkung schmerzhaft bewusst.
    »Du denkst, ich hätte mich von dir küssen lassen, obwohl ich einen anderen liebe?«
    »Eine große Auswahl hattest du ja nicht«, entgegnete er entrüstet.
    »Ich bin keine Drei-Dollar-Nutte!«, platzte ich heraus. »Ich weiß ja nicht, mit wem du so deine Zeit verbracht hast, aber …«
    »Moment mal …«
    » Du! Du hast mich geküsst, obwohl du dachtest, ich wäre mit einem anderen zusammen! Was sagt das wohl über dich aus, hm?«
    »Moment«, wiederholte er und schnitt mir damit das Wort ab. In meinem Zorn war ich ihm unverschämt nahe gekommen, sodass uns nun nur noch Zentimeter trennten. »Erstens: Ich weiß, du bist nicht einfach; im Grunde bist du sogar der komplizierteste Mensch, der mir je begegnet ist. Zweitens: Ich habe nie behauptet, ich wäre ein guter Mensch. Und drittens: Wenn du nicht von diesem Sean gesprochen hast, von wem zum Teufel dann?«
    »Das …«, stammelte ich. »Das geht dich nichts an«, wich ich aus.
    »Wenn du an einen anderen Kerl denkst, während wir uns küssen, dann bin ich ziemlich sicher, dass mich das durchaus etwas angeht«, gab er hitzig zurück.
    »Nicht mehr, nein. Außerdem, warum interessiert dich das überhaupt?«
    Er richtete sich kerzengerade auf, sodass ich den Kopf in den Nacken legen musste, um ihm in die Augen zu sehen.
    »Das tut es nicht.«
    Er trat gegen die Erde. Sekunden vergingen. Und fühlten sich an wie Stunden.
    »Du hast recht. Es ist nicht wichtig«, sagte er dann eisig.
    Mein Magen sackte ein Stockwerk tiefer, aber er hatte recht. Es war besser so. Wenn wir das sichere Haus erreicht hätten, würde er mich verlassen. Ihn zu lieben würde alles nur noch schwieriger machen.
    Er atmete tief durch, und wir beide fixierten den Parkplatz und traten unruhig von einem Fuß auf den anderen. Irgendwann schaltete er das Radio an, aber das gab nicht einmal ein Rauschen von sich; die Batterie war entweder im Regen nass geworden oder einfach nur leer. Hätten wir einen örtlichen Sender hereinbekommen, dann hätten wir vielleicht die Bewegungen der MM verfolgen können. Wie die Dinge aber lagen, befanden wir uns im Blindflug.
    Die Sorge dämpfte meinen Ärger, und die Kälte betäubte meine Nerven. Und als ich in seine Richtung schaute, stellte ich überrascht fest, dass er mich beobachtete, obwohl ich im Mondschein nur die Umrisse seines Kopfes sehen konnte.
    »Danke. Dass du mir heute Abend das Leben gerettet hast.«
    Mehr sagte er nicht, und ich drang nicht weiter in ihn. Stattdessen setzte ich mich, und er folgte meinem Beispiel. Ich zog die Knie an die Brust, stülpte mir die Kapuze über den Kopf und wartete auf die Morgendämmerung.
    Eine Stunde später weckte mich Chase. Er hatte uns den Schlafsack umgelegt, als ich eingeschlummert war, war aber selbst wach geblieben, um Wache zu halten. Aufgeschreckt rieb ich mir die Augen.
    Zwar ging die Sonne bereits auf, doch war es immer noch dunkel. Die Grillen hatten aufgehört zu zirpen und den Weg für die zweite Schicht der Freiluftmusiker freigegeben: Ein Specht pochte munter vor sich hin, und ich hörte ein Summen von der Qualität einer Zugpfeife, das von einem mutmaßlich enormen

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