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Artikel 5

Artikel 5

Titel: Artikel 5 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristen Simmons
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mokkafarbene Haut und runde Wangen, die aussahen wie Paradiesäpfel.
    Sie war mindestens im sechsten Monat schwanger.
    Durch meinen Blutstrom rauschte ein Argwohn, den auch diese Fremden hegen mussten. Sie wandten sich einander zu und besprachen sich leise. Chase steckte den Schlagstock zurück in den Gürtel und reckte die leeren Hände hoch, um ihnen unsere friedlichen Absichten zu signalisieren. Dann ging er einige langsame Schritte auf sie zu.
    Wir waren knappe sechs Meter von ihnen entfernt, und das Trio hatte sich nicht mehr gerührt. Nun aber sah ich, wie der Junge die Jacke zurückschlug und den Blick auf einen schwarzen Montierhebel freigab, der in seinem Hosenbund steckte. Mir stockte der Atem, aber irgendwie war ich auch erleichtert. Immerhin war da keine Schusswaffe und auch kein Messer zu sehen. Noch nicht.
    Chase schnaubte verächtlich.
    »Halt«, rief der Junge, und wir blieben stehen.
    »Wir wollen keinen Ärger«, erklärte Chase sichtlich unbeeindruckt. Das große Mädchen drehte sich zu dem Jungen um und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Nun, da wir näher waren, erkannten wir, dass die beiden Geschwister sein mussten. Sie hatten die gleichen androgynen Gesichter, die gleichen geraden Brauen und flachen Wangenknochen, unter denen die Schatten der Mangelernährung erkennbar waren, und das gleiche dunkle Haar mit dem spitzen Haaransatz in der Mitte der Stirn.
    »Wollt ihr was kaufen?«, fragte die Schwester.
    »Wir suchen nur einen Schleuser«, antwortete ich.
    Vor mir spannte sich Chase, und ich überlegte, ob ich zu wagemutig agiert hatte. Andererseits würden diese Leute uns nicht der MM ausliefern, zumindest nicht gleich. Aus Dingen Gewinn zu schlagen, deren Vermarktungsrecht in den Händen der MM lag, war illegal.
    »Wir sind Autoverkäufer, keine Fahrer«, sagte die Schwester, woraufhin der Junge ihr den Ellbogen in den Leib rammte.
    Ihr Ton behagte mir nicht. So wenig wie ihre Art, Chase anzustarren.
    »Kennt ihr jetzt einen Schleuser oder nicht?«, hakte ich nach.
    »Es gibt einen in Lewisburg, der nach Georgia und South …«
    »Wir können nicht nach Lewisburg«, unterbrach Chase.
    »Dann eben Harrisonburg, aber das ist noch weiter weg.«
    »Da können wir auch nicht hin«, sagte Chase rundheraus, und meine Kiefermuskulatur spannte sich.
    »Schlimmer Junge«, gackerte das Mädchen und grinste Chase neckisch an. Ich musterte sie aus schmalen Augen, und obwohl es kalt war, schob ich meinen Ärmel hoch, um den Ring an meiner linken Hand zum Vorschein zu bringen.
    Das kleinere Mädchen flüsterte seinem Freund etwas zu. Als es sich umdrehte, legte es eine Hand auf den aufgetriebenen Bauch. Plötzlich taten sie mir leid. Das Mädchen war vielleicht fünfzehn oder sechzehn – zu jung, um verheiratet zu sein – und hatte offenkundig gegen die Moralstatuten verstoßen. Das war vermutlich der Grund, warum sie in dem Auflieger hausten.
    »Werdet ihr von der MM verfolgt?«, fragte das Mädchen.
    Weder Chase noch ich antworteten.
    »Ihr müsst nach Knoxville«, fuhr es fort. »Tennessee. Wisst ihr, wo das ist?«
    Mein Interesse war geweckt.
    »Was ist in Knoxville?«, wollte Chase wissen.
    »Ein Schleuser?«, fügte ich hinzu und atmete etwas schneller.
    »Ein ganzes Untergrundsystem«, sagte die Schwester. »Haufenweise Leute sind nach Knoxville geflüchtet. Die Hälfte unserer Fahrzeuge ist auch dort. Ausverkauf.« Sie lachte.
    »Knoxville«, wiederholte ich, während Chase neben mir ganz langsam ausatmete.
    Wir waren wieder auf der richtigen Spur.
    Der Tag war lang.
    Die neuen Roten Zonen, die Städte, die wegen des Krieges evakuiert worden waren, und die Gelben Zonen, Gegenden, die vollständig von der MM mit Beschlag belegt wurde, waren auf den Straßenschildern am Highway in passenden Farben gekennzeichnet und machten in Virginia und North Tennessee so manchen Umweg nötig. Dann und wann döste ich ein wenig, ohne je richtig zu schlafen. Zugleich blieb ich ununterbrochen angespannt, mein Herz schlug die ganze Zeit etwas zu schnell, und mein Kopf war voller Sorgen.
    Von Zeit zu Zeit kam mir die Schwester in den Sinn, und mir wurde bewusst, dass der Gedanke an sie mich schmerzte. Sie hatten darauf beharrt, dass wir ihnen einen Wagen abkaufen müssten, und da wir nichts besaßen, an dem sie interessiert gewesen wären, mussten wir ihn bezahlen. Eintausend Dollar. Bar . Für eine Handelsware, die ihnen nicht einmal gehörte. Aber da die drei auch noch sämtlichen Sprit abgezapft hatten, waren uns die

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